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»Und wieso nicht«, hatte August gegengefragt …
Jedenfalls war Wiard dieses Leben offenbar lieber als das mit Ärmelschützern vor immer wieder denselben Formularen.
»Verdienst unsicher, Lebensqualität aber wesentlich besser geworden – das wiederum sicher«, so verteidigte Wiard seinen Schritt gegenüber besagten Kritikern.
August hatte keine Ahnung, was Wiard mit ihm besprechen wollte und was das mit dem Deich zu tun haben könnte. Seine Gedanken drehten sich um die Zukunft des HSV, als er eine mehr als daumendicke, dabei aber schnell zerfließende Wurst eines hellblauen Shampoos in seine Hand drückte, um das Zeug auf dem Kopf in reichlich Schaum zu verwandeln, damit Dreck und Kuhstallgeruch verschwanden.
»Sonst kannst du gleich im Stall bleiben und bei deinen Kühen übernachten«, hatte Henrike schon des Öfteren bemerkt. August lächelte, als er an diese Worte dachte, und wusch die Haare umso gründlicher.
3
An diesem Abend saß Wiard Lüpkes über einem Haufen Papiere, den er intensiv studierte. Seit Wochen ging ihm der neue Deich nicht mehr aus dem Kopf. Das Land und private Investoren waren gemeinsam die Deichbauarbeiten angegangen – Klimawandel und daraus resultierender Meeresspiegelanstieg forderten ihren Tribut. Gut sah er aus, der neue Deich, mächtig und stabil, und jeden Abend zeichnete sich die gerade Linie der Deichkrone gegen den Horizont ab – vorausgesetzt sie hatten nicht mal wieder Sauwetter. Doch Wiard war eher beunruhigt. Und das, wie er meinte, aus gutem Grund. Er hatte selbst am Deich mitgearbeitet und später bei allerhand Stellen und vielen Personen Informationen eingeholt. Einem inneren Gefühl folgend, war er mehr und mehr dem Gedanken verfallen, dass mit dem Deich etwas nicht in Ordnung war. Die gerade Linie der Deichkrone kam ihm manchmal gar nicht so gerade vor. Er war diesem Gefühl nachgegangen und hatte aufgrund seiner Recherchen so seine Vermutungen. Doch was dieses Gefühl des ›Nicht-in-Ordnung-Seins‹ nährte, konnte er noch nicht in eine schlüssige, nachvollziehbare und vor allem glaubwürdige Erklärung umsetzen. So behielt er das Ganze erst einmal für sich. Tag für Tag war er zum Deich gegangen, hatte ihn gründlich in Augenschein genommen und den Eindruck gewonnen, dass nicht immer mit der Sorgfalt vorgegangen worden war, die man bei guter Deichbaupraxis hätte erwarten können. Hier und da Schludrigkeiten bei Pflasterungen am Deichfuß, kahle Stellen in der Grasnarbe (oder waren das Schafe gewesen? Nein, die machen die Grasnarbe ja eben nicht kaputt), insbesondere aber der Eindruck, dass es Stellen gab, an denen der Deich ›weich‹ war, machte ihm zu schaffen. Dieses Gefühl versuchte er mit seinen Recherchen und den Erfahrungen während der Zeit, die er selbst am Deich mitgearbeitet hatte (einige Monate sozusagen als ›Mann für alles‹), in Einklang zu bringen. Er wusste, so dachte er, ein paar Dinge, die andere nicht wussten und die er bislang als unwichtig abgetan hatte. Jetzt wurde er diesen Gedanken nicht mehr los. Und neulich hatte er beim Feuerwehrfest im Polder einen über den Durst getrunken und Georg Redenius (»hohes Tier bei der Küstenschutzbehörde«; was hatte der da eigentlich verloren?) erzählt, der Deich sei doch »qualitativ eine Katastrophe, einfach scheiße gebaut«, das hätte doch nur mit »Bestechung und Korruption« zugehen können, dass diese Pfuscherei durch die beaufsichtigenden Behörden nicht geahndet worden sei. Klar, am nächsten Morgen hatte er sich sehr über diese Äußerungen geärgert (sofern er noch von ihnen wusste), aber ihm war im Kopf geblieben, dass Redenius, den er rein zufällig bei einigen Runden Schnaps kennengelernt hatte, plötzlich sehr ernst geworden und etwas rötlich im Gesicht angelaufen war und, als Wiard weitersprach, ihn angefahren hatte, er solle jetzt aufhören mit dem Deich, sonst bekomme er eins auf die Nase … So reagierte man doch nicht, zumal Wiard gleich beschwichtigt hatte, es wäre doch nur ein Spaß gewesen (obwohl er es eigentlich ernst gemeint hatte).