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Mein Vater stammt aus Ostpreußen, aus der Nähe Königsbergs, dem kleinen Ort Goldbach. Die Flucht am Ende des Krieges führte ihn in Richtung des Hauptreichs, wie die Ostpreußen das heutige Deutschland damals nannten. Die Familie wurde aufgegriffen und geriet für knapp drei Jahre in russische Gefangenschaft. Die ließ die Zeit lang und unsäglich hart werden, bevor mein Vater als Vogelfreier ohne Papiere in Suhl eintraf. Viel konnten er und seine Familie nicht mitnehmen aus ihrer Heimat, aus Goldbach. Doch eines hatten sie im Gepäck. Ihre Art zu kochen. Von seiner Mutter, einer Köchin auf einem Rittergut, erlernte es mein Vater. So wie zu Hause, war sein Satz dazu. Und mehr gab es auch gar nicht zu sagen. Wenn man erahnt, welche Verzweiflung er durchlebte, als sein Vater in Gefangenschaft als Himmelfahrtskommando Munition aufsammeln musste, die Familie ausgeraubt wurde, vor dem Verhungern stand und später seine Schwester an den Folgen mehrfacher Vergewaltigungen starb. Ich weiß, dass ich die Erlebnisse meines Vaters nie wirklich nachempfinden werden kann. Doch ich habe Hochachtung und Ehrfurcht vor seinem Schicksal. Ich mag es, wenn er erzählt, von damals und wie alles war. In den weiten, lichten Wäldern Ostpreußens, in denen er als kleiner Junge Heidelbeeren sammelte und abends verbotener Weise auf einem Trakehner Pferd nach Hause ritt. Allein, ohne Sattel und Zaumzeug. Halt fand er, indem er seine Hände in die Mähne krallte und die nackten Füße fest an den Körper des Pferdes presste. Mein Spielzeug war für lange Zeit die getrocknete Luftröhre einer Gans, in der eine Holzkugel hin und her rollte, höre ich ihn immer wieder sagen. Wie es ist, als flüchtendes Kind im Pferdewagen beschossen zu werden, wage ich mir nicht vorzustellen. Viel weniger noch, zu sehen, wie die Mitfahrenden im Fuhrwerk vor und hinter einem tödlich getroffen werden. Und ihn selbst nur der Wahnsinnsschrei seines Vaters vom Wagen riss, auf den, Augenblicke später, der Tod bringende Hagel niederging. Momente, in denen Wunden entstehen, deren Narben niemals ganz verheilen. Ein Leben lang nicht. Ein einziges Foto aus den vergangenen Tagen kenne ich von meinem Vater. Ein kleiner Junge mit strohblonden Haaren, der auf einer großen Wiese steht. Das gerettet Foto seiner Kindheit in Ostpreußen. Das Bild meines Vaters aus seinen jungen Tagen für immer in meinem Kopf.

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