Читать книгу Eis. Abenteuer. Einsamkeit. Mit dem Fahrrad in die sibirische Arktis онлайн
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Fahrspur über den gefrorenen Arktischen Ozean.
Seit fünf Tagen schon folge ich dem Fluss Omoloj seiner Mündung entgegen. Straßen gibt es hier keine, der gefrorene Flusslauf gibt die Richtung vor. Ich fahre direkt auf seinem Eispanzer. Eine freigeschobene Schneise im Schnee weist mir den Weg. Seit Stunden sehe ich nichts als Schnee und blauen Himmel – keine Anzeichen mehr von Land. Lediglich ein paar versprengte, weit entfernte Fischerhütten deuten darauf hin, dass es hier noch irgendwo festen Grund geben muss. In der Monotonie der polaren Landschaft schärft sich mein Blick zunehmend für kleine Details. Am Horizont bemerke ich eigenwillige Eisberge, die ihre Form und Größe verändern und dann plötzlich anfangen zu schweben. Werde ich langsam verrückt? Nein – es ist eine Fata Morgana, eine Luftspiegelung entfernter Hügelketten.
Bei Sonnenuntergang treffe ich auf das Räumfahrzeug, das mich erst gestern, nach mehreren Tagen des Offroad-Radelns, überholt hatte. Es hat zunehmend Mühe, sich durch die harte Schneekruste zu stemmen, und ist nun langsamer als ein Radfahrer im Schnee daneben. Ich umgehe das ratternde Ungetüm und folge der Spur eines Lastwagens, die einzig verbleibende Leitlinie in dieser sonst orientierungslosen Weite. Genau an dieser Stelle entdecke ich ein unscheinbares Holzschild im Schnee. Es ist, als hätte sich jemand einen Scherz erlaubt, als ich die kyrillischen Buchstaben entziffere: Море Лаптевых steht für Laptewsee. Ich bin am Arktischen Ozean angekommen, und das, ohne es zu merken! Denn ob Tundra oder gefrorenes Meer, hier ist alles mit derselben Schneedecke überzogen, ohne erkennbaren Übergang. Voller Faszination, aber auch mit einer gehörigen Portion Ehrfurcht begebe ich mich hinaus in ein weißes, konturloses Nichts. Lediglich einer Fahrspur folgend, die jederzeit wieder verweht werden könnte. Etwa 220 Kilometer sind es noch bis zur Polarhafenstadt Tiksi – 220 Kilometer über den gefrorenen Ozean – durch die schutzlose Einöde der Arktis. Eine Woche noch, schätze ich, vielleicht aber auch zwei, je nachdem, wie sich Wetter und Piste geben.