Читать книгу Tatort Ostsee. Sammelband Ostsee-Krimis онлайн
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»Meine Güte«, keuchte sie atemlos. »Jetzt komm endlich her!« Er rühre sich nicht. Sie folgte ihm den Deich hinunter. Nein, es war kein Plastiksack. »Ein Neoprenanzug! Na, wie aufregend! Irgendwer wird ihn vergessen haben. Jetzt hab dich doch nicht so! Pelle! Was bist du nur für eine Memme!« Sophie erreichte ihren Hund und klopfte ihm liebevoll den Po. »Das ist doch nur …« Sie sprang reflexartig einen Schritt zurück. »Ach du Scheiße!«
In dem Neoprenanzug steckte eine Frau. Sophie sah sofort, dass sie tot war.
4
Hanjo starrte an die Decke. Er musste gar nicht auf die Uhr sehen. Es war 20 nach sechs. Er wachte jeden Tag um dieselbe Zeit auf, immer fünf Minuten, bevor der Wecker klingeln würde. Früher war er immer gleich aus dem Bett gesprungen und nach unten in die Küche gelaufen, um Wasser aufzusetzen. Er hatte Freya jeden Morgen ihres gemeinsamen Lebens den Tee ans Bett gebracht, 40 Jahre lang. Hanjo wirkte noch immer kräftig, doch er war erschöpft. Zu viel hatte sich nach Freyas Tod verändert. Er fühlte sich so unendlich einsam ohne sie. Er hatte auch nie wieder eine Tasse Tee im Bett getrunken. Es wäre ihm wie Verrat vorgekommen, als könne er einfach so weitermachen. Hanjo stieg mühsam aus dem schweren Eichenbett, in dem er nun schon seit vier Wochen allein schlief. Ihre Decke lag noch da. Er brachte es einfach nicht übers Herz, sie auf den Dachboden zu bringen. Nachts kuschelte er sich hinein und er glaubte, noch immer ihren Geruch wahrnehmen zu können. Auch der Kleiderschrank war nicht ausgeräumt. Er war noch nicht so weit. Gerade weil jetzt alles anders war, brauchte er ihre persönlichen Dinge noch eine Weile um sich. Sie waren sein Trost. Er hatte nicht verhindern können, dass der Krebs sie aufgefressen hatte, doch er konnte zumindest selbst entscheiden, wann er sich von ihren Sachen trennen wollte. Vielleicht nie. Hanjo schlurfte in die Küche und ließ Wasser in den Kessel laufen. Er hielt die Küche immer sauber, doch sie erschien ihm neuerdings glanzlos und alt. Sie hatten sie vor 28 Jahren eingerichtet und bis auf einen neuen Kühlschrank mit Gefrierfach, einer Mikrowelle und ein paar Kleinigkeiten war sie fast unverändert. Für Freya war es der wichtigste Raum im Haus gewesen. Hier hatte sie gekocht, Handarbeiten gemacht und Briefe geschrieben. Sie hatte nie den Wunsch nach einer modernen Einbauküche geäußert und ihm war die Küche auch nie altmodisch erschienen. Hier hatten sie glückliche Stunden verbracht. Er musste unbedingt Blumen auf den Tisch stellen. Aber alles war anstrengend und er vermisste sie so sehr. Zusammen hatten sie auch die schlimmen Zeiten ertragen. Sie hatten sich gegenseitig getröstet. Doch an die dunklen Stunden wollte er jetzt nicht denken. Er versuchte, sich an die schönen Momente zu erinnern. Er war immer mit guter Laune aufgewacht, selbst wenn es draußen stürmte und die Regentropfen an das Fenster prasselten. Er hatte sich auf den Tag gefreut, war dann mit dem Tee zurück ins Bett gekrochen und sie hatten sich aneinandergekuschelt. Heute würde die Sonne scheinen. Es würde ein wundervoller Sommertag werden, doch es bedeutete ihm nichts. Der Kessel lief über und das kalte Wasser spritzte über die Spüle. Hastig drehe Hanjo den Hahn zu. Er musste sich zusammenreißen. Seine Kite- und Surfschule war seine Existenz und das kleine Restaurant war Freyas Ein und Alles gewesen. Er durfte ihr gemeinsames Lebenswerk nicht vernachlässigen. Das gute Wetter garantierte immerhin viele Schüler und hungrige Touristen. Er würde viel zu tun haben und das sollte ihn ablenken. Der Wasserkessel pfiff. Hanjo schüttete die Ostfriesenmischung in die alte Tonkanne und goss den Tee auf. Er wartete drei Minuten, bevor er sich eine Tasse einschenkte. Etwas Warmes von innen, etwas Tröstliches, etwas Vertrautes. Hanjo sah auf das kleine eingerahmte Foto von Freya und seufzte. »Alles ist gut! Du musst dir keine Sorgen machen.«