Читать книгу Mutterboden. Der andere Berlinkrimi онлайн
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Eines Morgens saß das alte Opfer in Kittelschürze an Jakobs Küchentisch und schälte Kartoffeln. Eine unendliche Zahl plumpste in einen angeschlagenen Emailletopf, ein immer größerer Berg Kartoffelschalen umringelte schlangengleich am Küchenboden die mageren Beine der Großmutter. Jakob stieg über die Schalen hinweg und wartete. Kochte seinen Kaffee, sah ihr zu und wartete. Ging zur Arbeit, kehrte zurück aus seinem Sterbezimmer. Oma saß da und schälte Kartoffeln.
Am dritten Morgen waren die Kartoffelschalen vom Küchenboden verschwunden. Stattdessen überall Lametta. Jakob kochte seinen Kaffee und setzte sich ihr gegenüber. Die Großmutter fegte Lamettareste vom Tisch und sah Jakob an. »Es ist nicht seine Schuld«, sagte sie, »ich konnte einfach nicht sterben.«
Jakob ging in sein Kellerloch und las die Akten noch einmal. Als er nach Hause kam, war die Küche leer. In der Spüle lag ein Lamettafaden und das Küchenmesser. Er legte den Faden vorsichtig in einen Umschlag und ging zu ihrem Grab. Viele Blumen, ein großer Grabstein. In Liebe, Dein Sohn, Deine Schwiegertochter, Deine Enkel. Er ging zur Wohnung der Familie. Oma stand noch am Klingelschild. Drei Zimmer, Küche, Bad. Ein Paar, seine zwei Kinder und die Großmutter. Gepflegt, versorgt, geliebt. Jahr für Jahr. Viele Jahre. Die Kinder wachsen, die Wohnung nicht. Sie konnte einfach nicht sterben.