Читать книгу Tatort Alpen. Sammelband Alpen-Krimis онлайн
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Birne schaute sich das Kino-Programm an. Das wär mal wieder was. Kino. Große Filme. Dann die anderen Anzeigen, dann die Todesanzeigen, ihre Anzeige. Da las er, was er jetzt unmöglich überlesen konnte: die Beerdigung. Sie hatten die alte Frau schon freigegeben. Sie mussten nicht mehr an ihr rumschneiden, die fleißigen Pathologen. Heute, 10 Uhr.
Birne wollte da hin. Birne gehörte da hin. Sollten sie ihn sehen. Drauf geschissen. Er würde sich auch im Hintergrund halten. Kaum schnaufen. Nur beobachten.
Er hatte schwarze Klamotten im Kleiderschrank, nicht zu nobel, aber dafür langte es. Er ging zu Fuß, musste dazu am Forum, einer Mall, die das Zentrum als Zentrum bedrängte, vorbei, dann durch die Fußgängerzone abwärts, am Karstadt und der Residenz entlang, alles im hässlichsten Wetter und inmitten von Volk, das seinen Konsumbummel am Vormittag begann.
Wenig los in der Kirche. Sie mussten ihn sehen. Birne drückte sich in die letzte Reihe, was auffällig war, weil die Reihen zwischen ihm und den paar da vorne leer waren. Der Gottesdienst lief schon. Birne kam zur Lesung, danach das Evangelium. Ein ziemlich grauer Pfarrer mit Halbglatze und gutem Bauch, der von Bierdurst zeugte. Er las von der Aufweckung des Lazarus. Der war vier Tage tot und dann kam Jesus und holte ihn wieder hoch. Damals war es heiß, dann wurde der Lazarus wieder lebendig, wahrscheinlich hatte er damals schon nach Verwesung gestunken, denn der Heiland war nicht gleich zur Stelle gewesen, weil er noch vier Tage gebraucht hatte zu Fuß zum Lazarus. Vier Tage verfaulen in der Hitze, dann kommt der Jesus und übergibt der Familie einen Zombie. Zuerst war da sicher ein großes Hallo, weil die Nachbarn den Lazarus ja tot gesehen haben und plötzlich spaziert er wieder aus seinem Grab raus, dann muss es ihnen aber doch unheimlich geworden sein. Ist das Verfaulte wieder zusammengeheilt? Geht so was?, dachte Birne. Ging so was, weil Jesus seine Finger dran gehabt hatte? Wie wär das, wenn die Zulauf wiederkäme plötzlich? Zumindest eigenartig. Mit der wollte man nicht mehr schnapseln und erst recht nicht mehr Brotzeit essen. Jetzt, nachdem sie tot war, war sie wohl tot. Bruno war nicht da. Der Enkel war da und seine Freundin Simone, ein älterer Herr mit einer Frau, ebenfalls in Schwarz, könnte der Sohn sein, der Vater vom Enkel. Der Rest der Gemeinde war auch schon alt, am Rand des Grabs, die wollten noch was fürs Seelenheil tun. Das Evangelium erzählte eine Zombie-Geschichte, damit den Zuhörern klar wurde, dass die Toten bleiben sollten, wo sie waren, weil Zombies stinken und blöd sind in der Birne. Lazarus hatte eine Schwester, die Martha, die heulte am Anfang am lautesten, auf die hörte Jesus. Und die Martha, die hatte was übrig für diesen Jesus, der ihr den Bruder wieder lebendig machte. Vielleicht brauchte sie ihren Bruder fürs Geschäft. Niemand verliert gern den Bruder, der Bruder war weg und auf einmal wieder da, gerade als man sich damit abgefunden hatte, dass er weg war. Damit mussten die zurechtkommen damals, war nicht einfach, war komisch sicher. Und anstrengend, ein Leben zu führen mit einer komischen Beziehung, das wusste Birne. Die Martha hatte sich einen Stress ins Haus geheult, die war froh, wie er dann endgültig weg war. Kann sein, dass der Jesus sich gewundert hat, dass sie beim zweiten Mal nicht wieder so traurig gewesen war. Er hätte den Lazarus womöglich noch mal geholt, diesmal endgültig, und man könnte ihn womöglich heute noch bestaunen, den Lazarus, der nicht mehr starb, nachdem Jesus ihn zwei Mal geholt hatte. Man könnte ihn fragen, wie Jesus war als Mensch und nach seinem größten Wunsch könnte man ihn fragen und dann würde er sagen, dass er gern den Sisyphos kennenlernen würde, wenn es ihn gäbe. Lazarus fault bis auf den heutigen Tag, aber er wird nie ganz verfaulen, er wird nur immer mehr stinken und in ein Haus lässt ihn schon 1000 Jahre keiner mehr rein. Er vergisst auch alles, weil sein Hirn wegfault und der normale Alzheimer noch dazukommt. Er hat keine Ahnung, wer dieser Jesus ist, nach dem sie ihn dauernd fragen.