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Der Schlafdeich lag etwa 300 Meter südwestlich vom Hof. Vor mehr als 120 Jahren hatte er noch als Außendeich gedient, damals hatte er den alten Polder geschützt, vor dem nun der jetzige, neue angelegt worden war, in dem die Saathoffs ihren Hof hatten, und der im Schutz des neuen Deiches lag, an dessen Standhaftigkeit Wiard Lüpkes so sehr zweifelte.

Hoffentlich hält er, schoss es August durch den Kopf, und er erkannte, dass irgendetwas passieren musste. Es konnte nicht alles einfach so weiterlaufen, er würde das auch nicht lange nervlich durchstehen. Er war ein ruhiger Typ, aber so etwas, Unbekannte, die Straftaten begingen, und das hier in der Einöde, das hatte er noch nicht erlebt – und es machte ihm zu schaffen.

Freerk ging gerne, gerade abends bei Sonnenuntergang, zum alten Schlafdeich. Der Blick nach Westen war dann besonders schön, vor allem bei Wind Stärke drei bis vier, wenn der Himmel sternenklar, aber dennoch von schnell dahinziehenden Kumuluswolken durchzogen war und der Mond sein Licht in immer neuen Facetten in den Polder warf. Freerk blieb meistens eine gute halbe Stunde dort, manchmal auch länger, und war anschließend oft sehr gut gelaunt. Als August und Henrike sich kennenlernten, waren sie auch oft zum Schlafdeich gegangen. Zum einen, weil es dort schön war. Man hatte Ruhe, konnte sprechen, träumen, knutschen. Zum anderen, weil es in diesem platten Land eine Erhebung war, die die Sicht zum Hof nahm. So war es einer der wenigen Plätze, wo man sich ungestört nach Herzenslust küssen konnte oder auch mehr, wenn eine laue Sommernacht es wettermäßig hergab. Schon als Junge war August dort herumgestromert. Er dachte an den Song von Udo Lindenberg: ›Bin jahrelang tagtäglich am Deich entlanggerannt …‹ Er überlegte einen Augenblick, ob er seinen Sohn begleiten sollte, doch schnell entschied er, dass Freerk sich kaum darüber freuen würde, hatte er doch den ganzen Tags schon mit dem Vater verbracht. Dafür war August ihm sehr dankbar. Und Freerk würde ihm dankbar sein, wenn er ihn jetzt allein ließe. Wer weiß, worüber er zu grübeln hatte. Vielleicht wollte er wirklich nur den Sonnenuntergang genießen. Ein ungeschriebenes, uraltes Familiengesetz besagte außerdem: ›Wer zum Schlafdeich geht, ob allein oder zu zweit, wird in Ruhe gelassen.‹ Selbst seine Eltern hatten sich immer daran gehalten. Aus seinem Zimmer hatten sie August und dessen Freundinnen (viele waren es nicht gewesen, bis er Henrike kennenlernte) das ein oder andere Mal vertrieben (so etwas gehörte sich schließlich nicht) – am Schlafdeich hatte er immer ungestört die Zeit mit dem Mädchen verbringen können. August entschied, in Kürze mal wieder mit Henrike einen Spaziergang dorthin zu machen. Der letzte lag schon längere Zeit zurück. Immer kam etwas dazwischen. Die tagtägliche Hausarbeit, der Hof, die Tiere, die vielen kleinen Probleme der Kinder und die größeren der Erwachsenen. Man vergaß einfach, auch einmal etwas für sich selbst zu tun, den Tag zu genießen, und wenn es nur für ein paar Minuten war. Die Tage, Wochen und Monate vergingen schnell, sodass sie eins ums andere feststellten, dass man doch in diesem Sommer mal wieder dies oder jenes hatte tun wollen, die Umsetzung aber ausgeblieben und nun schon wieder Oktober war, es überwiegend stürmte und regnete, und es schon wieder so früh dunkel wurde, dass man draußen zu nichts mehr kam. So war es nach dem letzten Sommer jedenfalls gewesen, und jetzt, im November, erwies sich das Wetter oft als noch miserabler, sodass es keinen Spaß gemacht hätte, obwohl August sich auch im Winter gerne mal auf den Deich, auch den Außendeich stellte, um sich so lange vom Nordwestwind durchpusten zu lassen, bis es zu kalt und ungemütlich wurde. Das tat einfach gut und führte nicht – obwohl viele das meinten – zu Erkältung, Lungenentzündung und Triefnase, sondern zu klaren Gedanken, neuen Ideen und guten Gefühlen. Ein heißer Tee danach wärmte den ausgekühlten Körper schnell wieder auf. Und wieder dachte August an einen Lindenberg-Song: ›… und jetzt trinken wir erst mal einen Rum mit Tee.‹

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