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Dennoch hatte sie plötzlich dieses Rauschen in den Ohren.
Auf einen Schlag, ohne jegliche Ankündigung, wie es nun einmal so seine Art war, schlug der alte Tinnitus wieder zu.
*
Sie steht am offenen Grab, umgeben von wenigen Verwandten und Bekannten. Es ist ein Sommertag, es ist heiß. Sie lässt die weiße Rose auf den mit Weihwasser vollgespritzten Sargdeckel fallen. Ein Fallen in Zeitlupe, in Superzeitlupe, bei der alle Geräusche sich verzerren. Das Gemurmel des Pfarrers, der sich trotz allem bereit erklärt hat, ein Begräbnis zu zelebrieren, zu einem Gequietsche entstellt, beendet erst durch eine einzige, entsetzliche Detonation: Die Rose hat eingeschlagen. Hat sich in den massiven Deckel mit dem schlichten Holzkreuz gebohrt und verwandelt sich jetzt, geführt von Geisterhand, in eine Dornenkrone.
Eine Detonation, die es gar nicht geben kann, geben darf.
Und die dennoch einen Tinnitus auslöst, der sie in alle Ewigkeit begleiten wird.
Betäubt klappt sie den Sarg auf, betrachtet das Gesicht der Mutter mit den weit aufgerissenen Augen, mit den schrecklich bleichen Lippen, die vergeblich ein letztes Wort zu formulieren versuchen: Frieda.