Читать книгу Im Januar trug Natasha Rot. Roman. Nili Masal ermittelt (2) онлайн
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Dieser erwidert sehr gerührt: „Und wie antworten die alten Juden auf diesen guten Wunsch? ‚Und du sollst auch gesund und sehr lange leben, um es mit mir zu genießen.‘“
„Wo hast du das nun wieder her?“, fragt Melanie. „Es klingt wunderschön.“
„Eine lange Geschichte“, antwortet Waldi. „Ende 1944 kamen die beiden Familien meiner damals gerade fünf- und zweijährigen Eltern mit einem Flüchtlingstreck aus Oberschlesien nach Schleswig-Holstein und wurden hier, zusammen mit einigen anderen Aussiedlern, auf einem größeren Bauernhof untergebracht. Erst nach der Kapitulation bekam man zu wissen, dass einer der Hofbewohner, den sie nur ‚Jupp‘ nannten, weil er aus Köln stammte, ein bei diesem Bauern versteckter Jude gewesen war. Als die Flüchtlinge auf den Hof gekommen waren, konnte er endlich unentdeckt auftauchen, niemand fragte jetzt noch danach. Seine ganze Familie war nach und nach in verschiedene KZs gesteckt worden und dort umgekommen, nur er hatte überlebt. Er kannte den Bauern, weil er und die Seinen vor der Machtergreifung der Nazis hier alljährlich ihre Sommerferien verbracht hatten. Als Jupp, mit eigentlichem Namen Josef Manasse, im Jahr 1941 über Nacht hierher flüchten konnte, nahm ihn der Bauer auf und versteckte ihn während der verbliebenen Nazizeit auf dem Heuboden in der Scheune. Meine Eltern zogen danach nach Kiel, wo sie aufwuchsen und später heirateten. Auch ich wurde hier geboren. Mein Opa erzählte mir mehrmals die Geschichte von Jupp. Opa und seine Familie hatten nur sehr wenig Kleidung aus Oberschlesien mitgebracht, denn während eines Fliegerangriffs der Russen war einer ihrer Treckwagen getroffen worden und verloren gegangen. Er besaß deswegen nur die Kleidung, die er gerade trug. Eines Tages erschien Jupp und schenkte ihm Hemd, Stiefel, eine Hose und eine warme Jacke. Weiß der Teufel, woher er sie hatte, jedenfalls war Opa ihm sehr dankbar. Jupp bemerkte nur, wie eben Nili: ‚Du sollst sie mit Gesundheit tragen.‘ Etwas später – Opa war Sattler, fand rasch Arbeit und verdiente sein Brot im benachbarten Dorf – revanchierte er sich bei Jupp und schenkte ihm neue Kleidung. Als Jupp ihm um den Hals fiel und sich bedankte, erinnerte sich Opa an damals und wiederholte seinen Satz: ‚Du sollst sie mit Gesundheit tragen.‘ Jupps Antwort war eben: ‚Und du sollst auch gesund und sehr lange leben, um es mit mir zu genießen!‘“