Читать книгу Im Bann der bitteren Blätter. Roman. Nili Masal ermittelt онлайн
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„Lass man, Mami, wollen wir hoffen, es geht ihr gut, ja?“
Sehr oft, vor allem seit sie ihren geliebten Ehemann Heiko, den sie alle den Deichkater genannt hatten, vor einigen Jahren verlor, schwelgt Clarissa meist in ihren Erinnerungen. Viel Zeit verbringt sie neuerdings beim Lesen ihrer ihr so teuren Tagebücher, inzwischen etwa dreißig an der Zahl, in denen sie akkurat die Geschehnisse und die intimsten Gedanken seit ihrer frühen Jugend festgehalten hat.
„Heute hatten wir einen ziemlich schaurigen Einsatztag“, bemerkt Nili, um ihre Omi von ihrem trübseligen Nachsinnen abzulenken. Sie skizziert in groben Umrissen, was auf dem weit abgelegenen Bauernhof vorgefallen ist. Ihre beiden Zuhörerinnen sind entsetzt. „Wie furchtbar, die armen Frauen! Wer tut nur so etwas?“
Nili wälzt sich unruhig von der einen zur anderen Seite. Während der gesamten Nacht hat sie schlimme Träume gehabt und immer wieder kommen ihr die verkohlten Leichen in den Sinn. Eigentlich ist ja heute Samstag, sie könnte doch länger schlafen. Sie schaut zum Wecker: sieben Uhr! Dennoch beschließt sie aufzustehen, geht ins Badezimmer, putzt sich die Zähne. Nach einer kurzen Katzenwäsche fasst sie die Haare mit einem Gummiband zum Pferdeschwanz zusammen und schlüpft in ihren Jogginganzug. Als sie ihre Laufschuhe angezogen hat, schleicht sie sich leise aus der Haustür und trottet die noch menschenleere Straße entlang. Die frische Morgenluft tut ihr gut und die körperliche Anstrengung vertreibt schon bald den finsteren Nachtnebel aus ihren Gedanken. Nach etwa einer Viertelstunde erreicht sie eine der Landstraßen, die aus Oldenmoor hinausführen, und läuft gleichmäßig auf dem Fahrradweg neben der zu dieser frühen Morgenstunde fast unbefahrenen Autostraße. Als sie an der Auffahrt zum Holstenhof angelangt ist, biegt sie in diese ein, verlangsamt das Lauftempo und macht gleichzeitig tiefe Atemübungen mit weit kreisenden Armen. Kurz bevor sie an das Haus kommt, öffnet sich die Tür und ihr Onkel Oliver, der Bruder ihrer Mutter, kommt ihr mit einem freudigen Lächeln entgegen. „Hola, Nili, que sorpresa tan linda“, begrüßt er sie. „Welch schöne Überraschung schon zu so früher Stunde! Du kommst gerade recht zum Frühstück!“