Читать книгу Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path онлайн
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An den Moment, der mein Leben von Grund auf änderte, erinnere ich mich derart glasklar, als wäre es gestern gewesen. Ich versuchte, mich in meinem großen, notwendigerweise stabilen Bett auf die andere Seite zu drehen, und trotz kräftigem Schwungholen und rudernden Armen, um ein wenig mehr Kraft zu entwickeln, schaffte ich es nicht. Eine Welle an negativen Emotionen überkam meinen Körper – Scham, Hilflosigkeit und maßloser Ärger auf mich selbst. Wie hatte ich es überhaupt so weit kommen lassen können? Wieso hatte ich nicht früher realisiert, dass ich so auf keinen Fall weitermachen konnte? Anstelle von glücklichen Augenblicken mit meiner Familie erinnere ich mich vor allem an beschämende Situationen, die keine kleinen Nadelstiche, sondern eher tiefe Schnitte in meiner Seele, wie von einem amerikanischen Nahkampfmesser, verursachten. Flugreisen brachten bereits Tage zuvor Panikattacken, ausgelöst durch die Frage, ob der Gurt sich schließen lassen würde. Der Tag, an dem ich versuchte, mich in den Sitz gequetscht anzuschnallen, und die Stewardess hochnäsig erklärte: „Massiv übergewichtige Menschen müssen eine Gurtverlängerung in Anspruch nehmen“, hat sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Die ehrlich gemeinte Feststellung eines Kleinkindes: „Das ist die dickste Frau auf der ganzen Welt“, und die absichtlich verletzenden Äußerungen von pubertierenden Jugendlichen, die mich mit Wörtern wie Nilpferd, Tonne und fette Sau beschimpften, tat ich mit vorgespieltem Selbstbewusstsein ab. Wildfremde Menschen erklärten mir auf der Straße, ich solle endlich abnehmen. Kleidungsgeschäfte mied ich ohnehin schon jahrzehntelang, denn wenn mir eine Verkäuferin mit hochgezogenen Augenbrauen erklärte, dass man für „eine wie mich“ ohnehin nichts im Sortiment hätte, war das jedes Mal wie ein Schlag in die Magengrube – falls man die denn unter der Fettschicht überhaupt erwischen würde. Gleichzeitig war aber der Übergrößenhandel auch der Meinung, dass dicke Menschen keinerlei Modebewusstsein oder Stil besitzen müssten und man diese mit Schmetterlingen oder Teddybären an schmuddeligen Shirts oder ebenso breiten wie langen Röcken, die die nicht vorhandenen Storchenfüße noch gezielter zur Geltung brachten, abfertigen könnte. Dies hat sich mittlerweile wesentlich verbessert, aber immer wieder stoße ich auch heute noch auf großgeschnittene Kleidungsstücke, bei denen der Designer bestimmt den unebenen Körper eines dicken Menschen mit all seinen „Stark-Stellen“ höchstens einmal aus der Ferne betrachtet hat.