Читать книгу Vom Glück der frühen Jahre. Erzählung einer Kindheit in den fünfziger Jahren, Geschichten aus einer glücklichen Kindheit, Kultur und Gesellschaft in den fünfziger Jahren, Zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswunder онлайн
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Als unser Hausarzt zum wiederholten Male notfallmäßig bei mir den Bruch zurückgedrückt und so etwas wie ‚das müssen sie bei dem Kleinen jetzt aber endlich mal operieren lassen‘ gemurmelt hatte, wäre das mit dem Leistenbruch bei mir einfach vorbei gewesen. Von heute auf morgen. Ich kann mir gut vorstellen, wie glücklich sie danach gewesen sein mussten. Keine Notwendigkeit mehr mit dem Säugling über die Straße zum Arzt zu rennen und vor allem keine Ängste mehr!
Meine Eltern hatten für diese spontane Heilung selbstverständlich eine Erklärung. „Das hat sich bei dir irgendwie verwachsen“, meinten sie. Ich glaube allerdings, dass dies medizinisch gar nicht möglich ist. Aber egal. Es war jedenfalls vorbei. Dauerhaft. Und vielleicht hatten sie ja doch recht, mit dem Wunder.
Ich stelle mir vor, dass das für meine Eltern in den ersten Tagen mit mir als Baby sicherlich keine einfachen Erfahrungen gewesen sein müssen. Erklärlich, dass diese Erfahrungen sie noch einige Zeit begleiten mussten.
Da war es meine Mutter, die des Öfteren Angst hatte, mein Leistenbruch könnte wieder auftreten. Getrieben von dieser Sorge rief sie dann bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten: „Gerd darf aber nicht schwer heben“. Das war von ihr gut gemeint, ich fand das aber überhaupt nicht lustig. Ich fand das einfach peinlich. Allerdings hatte es meine Mutter dadurch erfolgreich verhindert, dass ich als Kind irgendetwas wirklich Schweres heben oder tragen musste. Gerd stand also meistens neben dem Geschehen. Gerd hatte einen Leistenbruch, und Gerd hatte frei.