Читать книгу Eis. Abenteuer. Einsamkeit. Mit dem Fahrrad in die sibirische Arktis онлайн
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AUFBRUCH ZUM STARTPUNKT
Gegen 10 Uhr am Vormittag stehe ich bei –20 °C mit meinem Rad sowie dem ganzen Gepäck vor dem Häuserblock meiner Unterkunft und warte auf das von Michail organisierte Sammeltaxi. Es dauert eine Weile, anderthalb Stunden vergehen, bis der Fahrer endlich aufkreuzt – sibirische Pünktlichkeit. Aber dann geht alles ganz schnell. Rad und Gepäck werden in wenigen Minuten auf dem Dach verzurrt, ich übergebe die erste Hälfte des vereinbarten Fahrpreises, und schon sausen wir los. Zunächst quer durch die Stadt, um die übrigen Fahrgäste einzusammeln, dann an einem Ausrüstungsladen vorbei, in dem ich mir für den Notfall noch eine Gaskartusche hole. Schließlich verlassen wir Jakutsk und fahren über das Eis der gefrorenen Lena. Die freigeschobene Schneise wirkt wie eine normale Hauptverkehrsstraße in einer weißen weiten Ebene. Doch links und rechts des Weges ragen aufgeschobene Eisschollen aus dem Schnee und erinnern daran, dass unter uns das Wasser des größten Stroms Sibiriens dahinfließt. Am anderen Ufer gelangen wir auf die berüchtigte Kolyma-Trasse, die einst unter der Herrschaft Stalins von Gulag-Häftlingen unter unmenschlichen Bedingungen erbaut wurde und aufgrund der vielen Todesopfer auch »Straße der Knochen« genannt wird. Bis heute ist sie die einzige ganzjährig befahrbare Straße, auf der man in die unermesslichen Weiten des Fernen Osten Russlands vordringen kann. In der dünn besiedelten Bergwildnis rund um den namensgebenden Fluss Kolyma führt sie vorbei an ehemaligen Gulags, devastierten Siedlungen und Goldgräbercamps, um nach 2.000 Kilometern am Pazifik, in der Hafenstadt Magadan, ihr Ende zu finden. Etwa auf halber Strecke liegt Ust’-Nera, das Ziel meiner Fahrgemeinschaft. Sieben Leute teilen sich die Fahrt, den Letzten sammeln wir in Nizhnyj Bestjach ein. Wir durchqueren die jakutische Tiefebene mit ihren weiten Waldgebieten und passieren etliche kleinere Dörfer. Hölzerne Blockhütten mit rauchenden Schornsteinen und im Schnee grasende Kleinpferde prägen das Landidyll. Man hat den Eindruck, in eine vergessene Welt abzutauchen, unvergleichbar mit dem städtischen Leben in Jakutsk.