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So auch Mostafa, der wie vom Himmel gefallen mit einem Mal vor uns landet. Wir kennen einander nicht. Doch unser Leo, der ist Indiz genug, dass wir diejenigen sind, nach denen er sucht. Mostafa spricht deutsch und ist selbst gerade zu Besuch in der Heimat seiner Kindheit, Jugend und seines Lebens als junger Mann.

Mostafa lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, hat das Alter der Rentenbezüge erreicht und liebt wenige Dinge mehr als seinen kleinen Garten in Köln. Bis nach Isfahan mussten wir fahren, um Mostafa aus Köln zu treffen. Das Leben hat schon einen eigenwilligen Sinn für Humor. Und wer ist nun wieder Mostafa? Der Vater von Erfane. Sie ist Ärztin in Jena und eine Freundin von Haleh und Hassan, dem Anästhesisten. Über die beiden kamen wir zu Ali Reza und später zu Dr. Ali, dem Vater Hassans. Ich werde des Knüpfens und Endfitzens des engmaschigen Netzes nicht müde, dessen Knotenpunkte der Zufall und dessen Verbindungslinien die Offenheit dem Unerwarteten gegenüber sind. In Isfahan steht eine Hochzeit auf dem Plan. Zu diesem Anlass ist Onkel Mostafa aus Deutschland angereist und auch wir sollen kommen. Einfach so. Ohne, dass uns hier auch nur irgendjemand kennen würde. Doch Gäste von weit her sind in jedem Fall ein gutes Omen und damit willkommen. So ist das hier im Iran. Da denkt keiner: Oh, noch zwei Esser mehr. Und hoffentlich bleiben die nicht so lange. Und überhaupt, wir kennen die ja gar nicht. Im Iran ist das anders. Egal wohin wir kommen, umfängt uns das Gefühl, gewollt und geladen zu sein. Die Menschen freuen sich, dass Fremde ihr Land bereisen. Und bitte, bitte erzählt draußen in der Welt, dass wir gute Menschen sind, ist ihr so oft wiederholter Wunsch an uns. Erfane in Deutschland begleitet uns in diesen Tag in Gedanken auf Schritt und Tritt. Jede Nachricht aus ihrer Heimat saugt sie auf und lässt die Sehnsucht und das Heimweh in ihr erblühen. Dreizehn Jahre war sie alt, als es in ihrer Familie hieß, wir machen Urlaub in Deutschland. Also gut, Urlaub in Deutschland. Tschüss Iran, bis in drei Wochen dann, dachte sich das junge Mädchen. Doch nach einundzwanzig Tagen machten die Eltern keine Anstalten, die Koffer für den Rückflug zu packen. Nein, ganz im Gegenteil. Pack deinen Koffer aus, war der Satz, welcher Erfane ins Grübeln brachte. Und mehr noch der nächste: Ab Montag gehst du hier in die Schule. Sie verstand ihre Eltern nicht mehr und die ganze Welt gleich gar nicht. Weil die längst für Erfane zusammengebrochen war. Kein Abschied von den besten Freunden, der Familie, den nahen Verwandten. Die liebsten Kuscheltiere, alle zu Hause in Isfahan. Nur sie war hier. Gefühlt unendlich allein und einsam. Mit einem Mal und Paukenschlag. „Du gehst hier in die Schule“ sagt erst einmal nichts darüber aus, wie es funktionieren soll, sich so ganz ohne Worte zu verständigen. Und überhaupt alles, alles, alles war fremd, anders, unverständlich. Das Leben in Deutschland schmeckte anders, roch anders, klang anders, war anders. Heute weiß Erfane, dass es keinen anderen Weg für ihre Eltern gegeben hatte, als den der geschaffenen Tatsachen. Jede Mitwisserschaft um das Vorhaben hätte alles gefährdet. Erfane, und sicher auch ihren Eltern, blieb einzig der Schmerz der Endgültigkeit. Erfane sah ihre Heimat erst knapp zwanzig Jahre später wieder. Und so ist auch für Mostafa, den Vater, der Besuch in Isfahan hoch emotional. Geschichten, zu Hause in Köln gut verdrängt und weggepackt, dringen hier in Isfahan mit all ihrer Wucht, Intensität, mit ihrer Traurigkeit und dem Bedauern an das Licht des blauen Winterhimmels.

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