Читать книгу Neuseenstadt 2040. Geschichte einer Unternehmerin онлайн
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Meine Mutter war Krankenschwester. Sie war sehr streng. Meine Tante Anita, ihre jüngere Schwester, fand ich als Kind viel lustiger. Eines Tages war sie in den Westen Deutschlands verschwunden, für mich auf Nimmerwiedersehen.«
Sandra kaut auf dem leeren Löffel und sagt: »Das klingt wie aus einer längst versunkenen Welt. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ein Land durch eine Mauer geteilt sein kann. Wieso lassen sich Menschen in einem Teil des Landes einsperren? Auch mein Großvater hat mir davon erzählt. Wann war das mit der Mauer?«
»Die Tante hat uns vor dem Mauerbau 1961 verlassen, dann war es vorbei mit den gegenseitigen Besuchen. Die Familie war auseinander gerissen. Dass es damals sehr vielen Menschen so ging, war ein schwacher Trost. Für die Zurückgebliebenen war es besonders schlimm. Die Ausgewanderten hatten ihre Freiheit und konnten die Welt entdecken. Nur in die DDR durften sie erst sehr viel später und mit behördlicher Genehmigung als Besucher wieder einreisen.
Meine Mutter war sicher so ernst, weil sie sich um meinen fünf Jahre jüngeren behinderten Bruder sorgte. Damit er besser gepflegt werden konnte und mit dem Rollstuhl Platz hatte, musste ich mein größeres Zimmer gegen sein kleineres vertauschen. Das sah ich zwar ein, haderte aber mit dem Schicksal und meinen Eltern, weil sich zu Hause immer alles um Manfred drehte. Wir hatten eine große Altbauwohnung, in der auch meine Großeltern lebten. Sie kümmerten sich um uns Kinder, wenn die Eltern arbeiteten, und so besuchte ich auch erst mit sechs Jahren bis zum Schulanfang den Kindergarten. Damals wurden viele Kinder zu Hause betreut und wir spielten in den Höfen, auf der Straße und in den Parks. Ich war viel lieber draußen als in der Wohnung, denn es gab zwischen meiner Oma und meiner Mutter ständig Streit. In der Schule lernte ich meine Freundin Ina Maiwald kennen und ich war gern bei ihr zu Hause. Sie wohnte gleich um die Ecke. Als Einzelkind hatte sie alles für sich – und nette, verständnisvolle Eltern. Ich habe meine Freundin geliebt, aber auch beneidet.