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Ziemlich laut und auf Hochtouren ist die Stimmung bei der Silvesterfeier des NDR 2 in der bis auf das letzte Ticket ausverkauften Halle 400 direkt an der Kieler Förde. In einem der beiden großen Säle tönt in voller Lautstärke die Musik der fünfköpfigen Rock-Party-Tour-Band „The Travellers“, im anderen quiekt und lärmt die Technomusik, die DJ Dickie für seine Raver auflegt, phonstark aus den riesigen High-Power Bass-Subwoofern. Das Bum-bum-bum schallt hinaus bis auf das eingeengte Fahrwasser der Ostsee, das sich an dieser Stelle dicht bis an die Hörn in Zentrumsnähe der Landeshauptstadt hineinschlängelt. Thomas Greve hat bereits für das Eintrittsticket im Wert von vierundvierzig Euro inklusive Galabuffet ausreichend gespeist, obwohl er sich immer noch darüber wundert, wem er dieses Präsent zu verdanken hat und wie es überhaupt in einem Kuvert, auf dem nur sein Name mit dem Vermerk „Persönlich“ aufgedruckt war, auf seinen Schreibtisch in der Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungs-Kanzlei Westphal gelangen konnte. Auch sämtliche Rückfragen bei den Kollegen gaben ihm darüber keinen Aufschluss. Thomas hat auch schon einige Runden getanzt, doch dabei weder irgendein bekanntes Gesicht erspäht, dem er für die Gabe seinen Dank aussprechen konnte, noch einen für ihn interessant anmutenden weiblichen Kontakt knüpfen können. Für den außenstehenden Beobachter ist das Letztere allerdings kein Mysterium, denn der Enddreißiger ist eher eine Durchschnittserscheinung und kein Hingucker, unauffällig gekleidet, schon ein wenig dicklich und mit fortschreitender Glatze sowie einer dick umrandeten Brille auf und einem kleinen Schnauzer unter der kleinen rundlichen Nase. Allerdings trügt sein Äußeres über seine inneren Werte hinweg, denn Thomas ist ein sehr tüchtiger und gewiefter Steuerexperte, der zudem, wenn sich ihm dazu die Gelegenheit bietet, einen sehr spaßigen und gebildeten Unterhalter abgibt. Gebürtig ist der Steinburger aus der Elbmarschenkleinstadt Oldenmoor, wo sein Vater Magnus einst als Tierarzt niedergelassen und gleichzeitig der Chef des Kreisveterinäramtes war. Erwartungsgemäß sollte er eigentlich in dessen Stapfen treten und dessen gut gehende Praxis nach dem Studium übernehmen. Wider seine tiefe Abneigung gegen das Bis-zum-Ellenbogen-tief-in-den-Uterus-einer-Kuh-hineingreifen-Müssen versuchte er redlich, dem Wunsch seines Erzeugers zu entsprechen und immatrikulierte, nachdem er am Glückstädter Gymnasium erfolgreich sein Abitur absolviert hatte, an der Universität in Hannover. Wegen seiner wiederholten Übelkeitsanfälle beim Sezieren von Pferdekadavern in der Anatomie brach er das Studium inmitten des zweiten Semesters ab, vorerst allerdings ohne die Familie davon in Kenntnis zu setzen. Stillschweigend wechselte er zur Kieler Fakultät der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität und belegte die Fachrichtung BWL. Erst nachdem er das erste Semester erfolgreich absolviert hatte, legte Thomas dem maßlos enttäuschten Vater seine Testatkarte vor. Tagelang sprach dieser kein Wort mit dem Filius, nur Mutter Grete und Schwester Swantje hielten ihm die Stange. Erst als Swantje, bereits in den letzten Zügen ihres Abiturs, überraschenderweise den Vater davon überzeugen konnte, dass nun sie anstatt des Bruders gern Tiermedizin studieren wolle, wichen Zorn und Enttäuschung aus Magnus Greves Herzen und Thomas durfte in den Schoß des heiligen Familienfriedens zurückkehren. Erfolgreich beendete er sein Studium und wurde in der Kieler Steuerkanzlei des Heinz Westphal, an der er wiederholt einige Praktika absolviert hatte, mit offenen Armen aufgenommen. Mit der gleichaltrigen Tochter des Inhabers, Melanie, verband Thomas eine kollegiale Freundschaft. Gelegentlich traf er bei ihr auch deren engste Freundin, die LKA-Hauptkommissarin Nili Masal, wieder, die er seit ihrer gemeinsamen Grundschulzeit in Oldenmoor kannte. Der Anfang des Jahres stattgefundene tragische Mord an dem Sohn Ralph Westphal, der durch eine ihm arglistig verabreichten Überdosis Kokain zu Tode gekommen war, hatte die Familie und die Kanzlei der Westphals äußerst erschüttert. Von Melanie erfuhr Thomas, wie sehr Nili an der Aufklärung des Falles beteiligt gewesen war und auch, wie sie der Tochter des Oberstaatsanwalts Hinrich Harmsen, die Doktorandin Kathja, bei deren Recherchen über Ursprünge und Schmuggel des Kokains nach Europa sogar bis nach Kolumbien und Bolivien begleitet und unterstützt hatte1.

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