Читать книгу Tödliche Zeilen. Historischer Leipzig-Krimi онлайн
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Die ganze Nacht habe ich keinen Schlaf gefunden. Ich verließ sogar mein Gemach und schlich draußen durch die Kälte. Des Nachts ruht die Stadt in Frieden. Doch was für eine trügerische Stille! Denn noch bevor die Sonne am Firmament erscheint, kommen die Wölfe aus ihren Höhlen gekrochen und versammeln sich in den Amtsstuben, Büros und Fabriken in ihren Rudeln. Dann beißen sie um sich. Ohne Rücksicht. Ohne Gnade. Der Gedanke an den feinen, freien Geist ist ihnen so fern, wie er Tieren nur sein kann. Was macht es schon, dass die Leitwölfe in teure Stoffe gewandet sind? Sie bleiben gemeine Kreaturen.
Doch nun schlägt meine Stunde. Ich habe die nötigen Vorbereitungen getroffen. Kurz noch ruhen, dann ist die Zeit für Taten gekommen.
Eins
Dienstag, 8. Januar 1907
Thomas Kutscher nahm das Manuskript vom Tisch, steckte es zurück in seine Mappe und fragte: »Sie wollen sich die Texte nicht einmal in Ruhe anschauen?«
Eberhard Rollnik blickte müde von seinen Unterlagen auf und schüttelte den Kopf. Er wies auf das Bücherregal an der Wand. »Sehen Sie da oben die schmalen Bände? Das ist die Schöne Edition Rollnik.« Er betonte die letzten Wörter, als würde er über Fußpilz reden. Nach einem Seufzer fuhr er fort: »Diese Bändchen sind die Glanzstücke meines Vaters. Im Regal machen sie einen federleichten Eindruck, aber in den Buchhandlungen liegen sie wie Blei. Das ist doch nichts für Sie, mein Lieber.«