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In der Mittagspause stand er in der Schlange vor der Essensausgabe. Die Kantine war groß und doch zu klein für die unerwartete Flut an neuen Arbeitskräften. Ludwig bestellte Rouladen mit Spätzle. Er wartete einige Minuten mit dem Tablett in der Hand und ergatterte einen freien Platz. Sein Gegenüber am Tisch war ein junger Chinese oder Japaner oder Koreaner, Ludwig vermochte das nicht zu beurteilen. Jedenfalls hatte er Schlitzaugen.
- Schmeckt es?
Ludwigs Großmutter hatte ihm immer eingebläut, dass es wichtig sei, Konversation zu betreiben. Sie war der Meinung, nur so gelange man an Informationen. Das World Wide Web erlangte erst nach ihrem Tod Berühmtheit. Sie starb zu einer Zeit, in der man noch Briefmarken anleckte. Die letzten Monate lag sie in einem Krankenbett und wurde durch einen Schlauch ernährt. Sie hatte die Seite gewechselt, war nun ihrerseits Patientin und ihre ehemaligen Kolleginnen taten wirklich ihr Bestes, um ihr die letzten Monate so angenehm wie möglich zu gestalten. Ludwig besuchte sie so oft er konnte. Es fiel ihm schwer. Ein dahinvegetierendes Stück Fleisch, durch Chemotherapie und Tabletten am Leben gehalten. In den wenigen lichten Momenten witzelte sie, dass ihr Körper nicht auf einen Friedhof gehöre, sondern auf eine Sondermülldeponie. Ludwig konnte darüber nicht lachen. Einen Tag vor seinem Siebzehnten Geburtstag schloss sie die Augen für immer und ihre ehemaligen Kolleginnen stellten die Maschinen ab. Ludwig war nicht an ihrer Seite, ein hartnäckiger Hexenschuss hatte ihn ans Bett gefesselt.