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Sonntagabend kam er besonders gern von seiner Halbhöhe in meine verkorkste Neckarstraße herab, und nicht nur, weil er dann Montag früh nur über die Straße zu gehen brauchte, um ins Amt zu kommen, sondern vermutlich weil sich ihm die teure Jugendstilmöblierung seiner Junggesellenwohnung in der Kauzenhecke am Haigst aufs Gemüt legte.
»Warst du schon mal in Neuschwanstein?«, fragte ich.
Richard lachte.
12
Ein Gespenst ging um in Stuttgart: die Bauwut. Überall verschwanden Häuser, ganze Blocks wurden zu Schutt und Staub, in den Straßen klafften Löcher, wo man gerade ein Jahr zuvor neuen Asphalt gegossen hatte, Routinegänge zum Bioladen wurden zu Slalomparcours. Auch die Gleisanlage am Stöckach unter meinem Fenster, wo die Stadtbahnen in den Osten abbogen, war eines Morgens wieder aufgerissen worden. Und jedes Mal, wenn eine Stadtbahn kam oder fuhr, stieß ein Bauarbeiter ins Signalhorn, damit die Kollegen aus den Gleisen treten konnten. Das Getröte begann morgens um sieben und wiederholte sich alle fünf bis sieben Minuten. Schon Viertel vor acht war wieder Ruhe, weil Vesperpause, ich aber wach. Eines Tages werde ich aus meinem Küchenfenster auf den Stöckach schauen, und der Hochbahnsteig ist weg, das Zeppelingymnasium von der Abrissbirne zu Staub gekloppt und der Bunker der Staatsanwaltschaft eingeebnet.