Читать книгу Mississippi Melange онлайн
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Meinem Vater war die Kleine bereits ans Herz gewachsen. So wie jedem anderen im näheren Umkreis, wie es mir schien. Es war kaum zu glauben, aber ich hatte Jahre hier an der Gammelgade gewohnt, bevor ich auch nur den Vornamen meiner direkten Nachbarin erfuhr. Katalie hingegen kannte nach drei Wochen scheinbar jeden, grüßte jeden und wurde von jedem gegrüßt. Morgens saß sie auf den Gehwegplatten vor dem Haus und erwartete den Briefträger. Obwohl er so gut wie nie Post für sie hatte, bekam er von ihr eine Tasse Kaffee aus der Thermoskanne und ein paar nette Worte, auch bei Regenwetter.
Kaum anders erging es dem Zeitungsboten, dem alten Schuster, der regelmäßig mit seinem Gehwägelchen die Gammelgade kreuzte, und der Kioskbesitzerin an der Ecke, die es immer eilig zu haben schien, sowohl vor als auch nach den Öffnungszeiten. Katalie saß häufig auf der Stufe zur Gammelgade 104, um die Herzen aller Nachbarn im Sturm zu erobern. Und ich als ihr Chronist durfte Zeuge dieses Siegeszuges werden, ohne dass sie mich auch nur zur Kenntnis nahm. Unbemerkt hatte ich, nein: hatten wir, stets ein wachsames Auge auf sie. Es schien fast, als wären wir hinter den gegenüberliegenden Fenstern kein Teil ihrer Welt, und wir legten auch keinen Wert darauf, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Eine gewisse Distanz machte es mir leichter, meinem Arbeitgeber gegenüber loyal zu bleiben. Und mein Arbeitgeber war Maiberg. Der Mann, der einmal täglich von mir einen knappen Bericht über Katalies Aktivitäten erhielt. Den Bericht lieferte ich bereits gewohnheitsmäßig gegen achtzehn Uhr per Mail ab. Aufregendes gab es meist nicht zu berichten. Katalie erwies sich als äußerst pflegeleicht. Sie verbrachte viel Zeit in ihrer Wohnung oder auf der Stufe zum Hauseingang und ging nur selten aus.