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»Ho, jo wälewäg«, sang Niklaus Jonas kurz darauf ins Ohr. »Dabei war der Herausgeber des Schinkens doch auch ein berühmter Basler. Oder kennt er vielleicht Wilhelm Busch nicht?«
»Ich glaube, Helbling verträgt keinen fremden Humor«, vermutete Jonas ohne jede Ironie.
Die Vorbereitung der klinischen Tests erwies sich komplexer als er angenommen hatte. Es galt, nicht nur die an sich schon anspruchsvollen Schweizer Gesundheitsbehörden zu befriedigen. EU-kompatibel musste jedes Dokument und jeder Handgriff sein. Was sich die Bürokraten in Brüssel an finsteren Winterabenden ausgedacht hatten, ging weit über die Hürden der amerikanischen FDA hinaus, die er bei seiner Arbeit in Boston fürchten gelernt hatte. Was lag näher, als das Bernoullischen Archiv zu durchforsten, um von der reichen Erfahrung früherer erfolgreicher Zulassungsverfahren zu lernen? Nächtelang studierte er Planungsunterlagen, Berichte und Anträge der letzten großen Einführung, die Helbling noch persönlich geleitet hatte. Die Ordner und Kisten mit den Messdaten, chemischen Analysen und statistischen Erhebungen füllten allein ein ganzes Regal im muffigen Keller. Oft zog sich Jonas in dieses Verlies zurück, um ungestört zu studieren. Er wollte verstehen, wie Helbling die Sache angepackt hatte, warum so und nicht anders, bevor er sich mit naiven Fragen blamierte. Zum dritten Mal nahm er sich den Ordner ›RCT-0319‹ vor, der die Dokumente der letztlich für die Zulassung ausschlaggebenden ›randomisierten kontrollierten Studie‹ enthielt. Das neue Medikament und ein Placebo ohne Wirkstoffe wurden nach dem Zufallsprinzip an 1‘800 Patienten erprobt, mit einem Ergebnis, das die Behörden offensichtlich überzeugt hatte. Im Gegensatz zu Jonas. Er übersah es beinahe, weil er nicht danach suchte, aber sein ausgezeichnetes Zahlengedächtnis ließ nicht locker. Zum dritten Mal verglich er die Einzelbelege der Patientenbefunde mit der statistischen Auswertung, und zum dritten Mal kam er zum selben Ergebnis. Die Zusammenfassung behauptete, die erfreuliche Wirksamkeit des Medikaments wäre aus 1‘800 Befunden ermittelt worden. Im Ordner ›RCT-0319‹ befanden sich aber nur 1‘300 Belege, die zu diesem guten Ergebnis führten. Ein Versehen bei der Archivierung, dachte er zuerst. Bis er die restlichen fünfhundert Befunde in einer andern Schachtel entdeckte. Einmal mehr blätterte er sie gewissenhaft und mit zunehmendem Unbehagen durch. Es gab keinen Zweifel: Es war kein einziger positiver Befund dabei. Helblings Studie war getürkt, und zwar so drastisch, dass dieses Medikament niemals zugelassen worden wäre, hätte man alle 1‘800 Befunde berücksichtigt.