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Gerda schaut ihnen hinterher, verharrt kurz, dann blickt sie skeptisch zur beeindruckenden Kulisse der Stephanskirche, die sich hundert Meter weiter vor ihr in den Nachthimmel reckt. Mit dunklen Schlagschatten, dem verhangenen Mond und so in Dämmerlicht gehüllt, präsentiert sich die eigentlich vertraute Szenerie beklemmend unheimlich, was sie unwillkürlich erschauern lässt. Seit dem schweren Schicksalsschlag vor einem Jahr quälen Gerda sehr ambivalente Gefühle über ihr einstiges Urvertrauen zu Gott und den tiefen Glauben, den sie jetzt nicht mehr aufzubringen vermag. Sobald sie mit sich alleine ist, hadert sie mit dem unbarmherzigen Schicksal, das ihr alles nahm. Sie zweifelt immer wieder am Katholizismus und den streng gläubigen Familienbanden, in denen sie seit ihrer Kindheit so tief verwurzelt war.

Diesen Gott, der ihren Lebensweg wie ein roter Faden begleitete, der als unerschütterlicher Halt stets an ihrer Seite war, ihn stellt sie jetzt infrage, weil sie seine Anwesenheit nicht mehr zu spüren vermag. Gerda streift sich fest über die Stirn, als wolle sie die trüben Gedanken hinweg wischen. Den verkürzenden, aber diffus beleuchteten Durchgang entlang der Kirchenmauern wird sie heute nicht nehmen, auch nicht die unzähligen Treppenstufen nach unten, die gleich dahinter zu Ball- und Bischofsplatz führen. Dort müsste sie so behängt quer durch die Feiernden und dümmliche Sprüche wären vorprogrammiert. Nach Überquerung der Schienenstränge entscheidet sie sich zu einer letzten Anstrengung am Finale des heutigen Abends. Zu den hundert Metern Anstieg bis zum Gautor, wo sie nach Linksbiegung über die Zitadelle nur noch bergab der Straße folgen muss, um so das Fest zu umgehen. Funkgeräte und Digitalkamera lasten schwer auf Gerdas müden Gliedern, als sie sich Schritt vor Schritt den Berg hinauf in Bewegung setzt. Das Ecklokal hat geschlossen und in der Gasse grölt eine Gruppe Betrunkener. Mit einem kleinen Umweg über den Südbahnhof kann sie dann unbehelligt zu ihrer Wohnung in der Uferstraße gelangen. Ausgelaugt und zerschlagen sehnt sie sich unbändig nach den eigenen vier Wänden. Hunger verspürt sie nicht, war doch das üppig belegte Mettbrötchen der einzige Lichtblick in jener verrauchten Pinte. Zuerst wird sie ausgiebig duschen, sich ein Gläschen vom süffigen Dornfelder kredenzen und die müden Füße hochlegen. Morgen beginnt endlich der verdiente Urlaub, drei unglaubliche Wochen lang. Vielleicht gelingt es ihr in dieser Zeit, die aufkeimende Freundschaft mit dem neuen Nachbarn zu vertiefen …? Seit über einem Jahr hat kein männliches Wesen sie mehr richtig geküsst. Niemand durfte ihre intimsten Stellen berühren, niemanden hat sie näher als einen halben Meter an sich herangelassen. Doch dieser stattliche Mann mit den sanften Augen, den gepflegten Händen und dem ansehnlichen Körper, der ihr vor zwei Wochen so intensiv und verständnisvoll zuhörte, der zärtlich und beruhigend über ihren Rücken streichelte … Ihre nervösen Hände behutsam in seinen auffing, als sie ihm in einem schwachen Moment ihre leidvolle Geschichte anvertraute.

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