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Am Abend kauerte Großvater an der Wand der Baracke unter einer dünnen Filzdecke und versuchte seine Socken zu trocknen, indem er sie an seinem Körper rieb. Eine Lektion, die ihm auf der ostpreußischen Infanterieschule eingebläut wurde: Immer auf trockene Socken achten! Fußfäule war bei der klammen Kälte eine nicht zu unterschätzende Bedrohung. Sein Magen knurrte. Er tastete im Dunkeln nach dem Karamellbonbon. Er hatte es all die Monate gehütet wie einen Schatz. Nicht einmal die Russen hatten es gefunden. Das Bonbon, eingewickelt in buntem Papier, war ein Geschenk einer liebreizenden Schwester, die es ihm bei seinem letzten Aufenthalt im deutschen Soldatenheim bei Pillau gegeben hatte. In all dem Leid, der Kälte, dem Sterben, das um ihn herum herrschte, schenkten ihm die bunten Farben des Bonbonpapiers ein wenig Hoffnung. Großvater erschrak, das Versteck hinter seiner hölzernen Pritsche war leer. Großvater suchte. Vergebens. Tränen liefen über sein Gesicht. Nicht zum ersten Mal kam ein Verlangen in ihm auf. Ein starkes Verlangen. Ein Verlangen nach einer geladenen und entsicherten Waffe, deren Lauf er sich in den Mund stecken konnte. Man hörte die Russen singen und lachen. Großvater hätte seinen linken Arm für einen winzigen Schluck des wärmenden Wodkas gegeben, den sich seine Peiniger einverleibten. Er betete, dass er auch diese Nacht überleben würde. In den letzten Wochen starben immer mehr seiner Kameraden. Jemand hatte mal gesagt, dass die Tatsache, dass das Leben aufhört, es so wertvoll macht. Großvater hätte diesen Jemand gerne an diesen Ort geholt und ihn gefragt, wie wertvoll das Leben hier sei. Jeder Tag war wie der andere und der Tag an dem man stirbt ebenso … nur kürzer. Großvater schloss die Augen, sehnte die guten Träume herbei. Meistens kamen die anderen, die Bösen. Die Hunde in ihrem Verschlag bellten, sie waren hungrig, gierig auf die Jagd. Gejagte gab es hier genug. Für die Russen war es ein netter Zeitvertreib, ein Spektakel. Tier gegen Mensch. Gnadenlos. Sinnlos. Die Waldgrenze war unerreichbar. Bei diesem Spektakel gab es nur die Option auf Tod, keine Alternative. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt, aber sie stirbt. Die Gejagten stolperten um ihr Leben. Vor den Augen ihrer Kameraden, begleitet vom Gejohle der Peiniger, starben sie immerhin als freie Männer.