Читать книгу Wer die Lüge kennt. Ein Provinzkrimi aus Berlin онлайн
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Glander wusste, dass es keine genauen Zahlen gab. Man ging von 4000 bis 12 000 Obdachlosen in Berlin aus, darunter rund 1500 Frauen. Aber diese Zahlen waren wenig verlässlich. Die Dunkelziffer war immens. Besonders Frauen schämten sich oft ihrer prekären Lage. Eine Vielzahl von ihnen hatte jahrelang männliche Gewalt erfahren und mied daher die Hilfsangebote der öffentlichen Hand oder privater Träger. Denn die Einrichtungen für Obdachlose wurden überwiegend von Männern frequentiert.
Rechnete man die Frauen dazu, die in sogenannten »ungesicherten Wohnverhältnissen« lebten, also bei jemandem unterkamen, bei dem sie sich in der Regel sexuell revanchieren mussten, war die Zahl der weiblichen Obdachlosen noch einmal erheblich höher. Die meisten wohnungslosen Menschen befanden sich in einer ausweglosen Situation. Vielen von ihnen fehlte eine ordentliche Ausbildung. Ohne festen Wohnsitz gab es keinen Arbeitsplatz, ohne Arbeitsplatz fand man keine Wohnung. Oftmals konnte man sich nach dem Verlust der Arbeitsstelle oder einer Scheidung seine Wohnung nicht mehr leisten. Hatte man erst einmal Mietschulden oder aus anderen Gründen einen Eintrag bei der Schufa, war es beinahe aussichtslos, eine neue Wohnung zu finden. Hinzu kam, dass viele Obdachlose unter posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen litten, jedoch in den seltensten Fällen von den Behörden entsprechende Hilfe erhielten. Selbst ein nächtlicher Platz in einer Notunterkunft war für manche keine Lösung. Viele Obdachlose scheuten solche Einrichtungen, weil dort keine Hunde und kein Alkoholkonsum erlaubt waren, und blieben auch bei hohen Minusgraden lieber auf der Straße. Wie beschämend war das alles für eine Wohlstandsgesellschaft!