Читать книгу Da draußen im Wald. Ein Waldviertel-Krimi онлайн
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Sie kehrte dem Fenster den Rücken zu, schlüpfte wieder unter die Bettdecke, versuchte zu schlafen, allein, sie konnte nicht. Knipste die Nachttischlampe an, begann ihre Gedanken neu zu ordnen. Immer mehr Fragen tauchten auf, immer mehr Zweifel machten sich breit. War er wirklich in den Wald gegangen? Sonntag war doch der einzige Tag in der Woche, den er sich freihielt. An dem sie vormittags für alle sichtbar das glückliche Ehepaar spielten, welches Arm in Arm zur Messe ging, unten im Dorf. Wo man ihnen Respekt zollte, dem Oberförster und seiner hübschen Frau, beide versehen mit dem Stempel der Ehrbarkeit. Sehen und gesehen werden, so lautete die Devise. Nur nicht auffallen, immer den Schein der Normalität wahren. Dem Dorftratsch keine Angriffsfläche bieten, zeigen, dass alles in Ordnung war. Es war doch alles in Ordnung, oder? Sie waren seit achtzehn Jahren glücklich verheiratet, oder etwa nicht?
Sie kannte all das Geraune, welches damals durch das kleine Dorf gegangen war, aus dem sie stammte, dem sie zugehörig war. Er war zwei Monate zuvor im Forsthaus eingezogen, oben am Berg, am Rand des großen Waldes, welcher der Herrschaft gehörte. Hatte damals den Posten des pensionierten Oberhuber erhalten, er, der fesche Forstingenieur aus der Stadt. Ein gestandenes Mannsbild, so wie die Bäume, die hier wuchsen. Alle Frauen des Dorfes hatten ihn umschwärmt, nicht nur Mädchen, sondern auch Verheiratete. Bald schon wurde gemunkelt, man hätte ihn mal mit dieser, mal mit jener gesehen, und als man einige Frauen zum Bäumchensetzen suchte, meldeten sich plötzlich mehr als üblich. Auch sie hatte sich gemeldet, die Tochter aus gutem Hause, deren Vater Direktor der Volksschule war und die es als Hauptschullehrerin eigentlich nicht notwendig hatte, sich in den Ferien ein paar Groschen nebenbei zu verdienen. Angefeindet war sie worden, damals, weil sie sich in ihn verliebt hatte und seine Nähe suchte. Gezischt und gezüngelt wurde im Dorf, Neid und Eifersucht fanden ihren boshaften Weg an die Oberfläche, wo man sich abends beim Milchhaus das Maul über sie zerriss. Mit ihren dreißig Jahren war sie doch eine »Überstandige«, die bisher noch keinen Mann gefunden hatte, die keiner nehmen wollte. Bis zu jenem schicksalhaften Tag, an dem sie ihn erstmals sah, war sie froh und glücklich gewesen. Ein junge Lehrerin in der nahen Stadt, eine attraktive Frau. Sie hätte jede Menge Gelegenheit gehabt, Männerbekanntschaften zu suchen, aber sie wollte sich nicht binden, wollte frei sein und ihrer Musikleidenschaft frönen, da sie ausgezeichnet Klavier spielte. Das war ihre Befriedigung gewesen, nie war ihr der Gedanke an Ehe und Familie gekommen. Wahrscheinlich wäre alles so geblieben, wie es war, und vielleicht wäre es besser gewesen. Doch er war der erste Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlte, und sie war ihm nachgelaufen, ohne sich dafür zu schämen. Es war einfacher gewesen, als sie dachte. Sie hatte sich angeboten, er hatte das Angebot angenommen und im Juni 1994, zwei Monate später, wurde geheiratet. Es war ihr ganz egal, dass sich die anderen Frauen neidvoll darüber ihre Schandmäuler zerrissen, dass er um vier Jahre jünger als sie war. Sie hatte ihm all ihre Liebe geschenkt und war glücklich dabei. Irgendwann später hatte die anfängliche Leidenschaft den Platz geräumt, war tief versunken in abgestandene Gleichgültigkeit. Man ging weiterhin Arm in Arm in braver Sonntagsbürgerlichkeit zur Kirche, aß weiterhin am selben Tisch, ging weiterhin schweigsam die eigenen Wege und schlief dann und wann, wenn auch in immer länger werdenden Abständen, pflichtgemäß und schweigend miteinander, denn man war ja verheiratet.