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CHANCEN

Alles schien wie immer, und nur wenige Wissenschaftler und Spezialisten schrieben in internen Berichten von einigen rätselhaften Beobachtungen. In Nordamerika hatte bei Gewittern die Anzahl der Blitze stark zugenommen und in manchen afrikanischen Küstenstädten standen plötzlich überall riesengroße schmutzige Pfützen in den Straßen. In Bolivien war Anfang des Jahres 2016 der zweitgrößte See des Landes, der Lago Poopó, merkwürdigerweise ausgetrocknet. Monatelang herrschte akute Wasserknappheit in vielen großen Städten des Landes. Aber sonst ging alles seinen Gang.

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Ich wurde zu einer Zeit eingeschult, in der nach Öffnung der türkischen Grenze Richtung Balkan die zweite größere Flüchtlingswelle Mitteleuropa erreichte. Uns Erstklässler betraf dies aber nur dadurch, dass eines Tages mehrere, eher fremdartig aussehende und aus dunklen Augen ängstlich um sich schauende Neulinge, einige Jungen und mehrere Mädchen die Klassengruppe verstärkten. Aber es machte Spaß, mit ihnen zu spielen und zu toben – nur sprechen wollten die mit uns nicht so viel. Erst als die Lehrerin allen erklärte, dass die Neuen einfach unsere Sprache nicht kannten, haben wir verstanden, warum die untereinander immer so ein komisches Kauderwelsch redeten. Erst viele Monate später, als sie schon ein bisschen Deutsch konnten, haben sie uns erklärt, dass sie aus einem Land kämen, wo Flugzeuge alle Häuser kaputt gebombt und fremde Männer mit schwarzen Tüchern um den Kopf und schwarzen Fahnen ihren Müttern, Vätern oder den Geschwistern die Köpfe abgeschnitten hätten. Ungläubig lachten wir, dann weinten ein paar von ihnen und andere fingen an, sich wütend mit uns zu prügeln. Nachdem die Klassenlehrerin, eine kleine zierliche, aber energische Frau, das mitbekam, zeigte sie uns im Unterricht ausgewählte Fotos von schier endlosen Trümmerlandschaften und erklärte: Das waren einmal bunte Städte, in denen Kinder wie ihr gespielt und gelernt haben. Die Väter und Mütter sind jetzt tot. Vielleicht erschien ihr selbst das im Nachhinein zu hart, aber diese Konfrontation erzeugte Gefühle. Und sie lehrte uns, dass es außerhalb der für uns so friedlichen und glücklichen Erlebniswelt noch viele andere Regionen auf der Erde gab, in denen statt dessen Krieg, Hunger, Armut, Not und Krankheit zu den Selbstverständlichkeiten zählten. So standen uns Hiesigen die Tränen in den Augen und wir lernten, dass wir den Neulingen Respekt entgegenzubringen hatten und ihnen würden helfen müssen. Das wollten wir dann auch wirklich und so wuchs langsam etwas Vertrauen zwischen uns. Sie erzählten mehr von ihrer ehemaligen Heimat und davon, wie Kämpfer aus verschiedenen anderen Ländern sich dort gegenseitig ermordet haben. Aber obwohl sich die Lehrerin Mühe gab, einiges auf kindgerechte Art verständlich zu erläutern, wollten wir von Krieg nichts wissen. Natürlich nicht. Krieg passt nicht in die Köpfe von Kindern. Nur in die von skrupellosen Erwachsenen. Und so drehte sich unsere Welt einfach weiter. Wir lernten neue Zahlen und Buchstaben, ohne etwas von den Ereignissen zu ahnen, die sich in fernen Teilen der Welt anbahnten.

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