Читать книгу Der verborgene Dämon. Roman онлайн
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Nicht lange, und die Schneeglöckchen verblühten, die Tage wurden wieder heller. Mein Fahrrad wartete entstaubt und einsatzbereit in unserem Carport auf seinen ersten diesjährigen Einsatz, und Gabis ehemalige beste Freundin war jetzt meine beste Freundin. Sie lernte ebenfalls sehr gut in der Schule, erledigte ihre Hausaufgaben meistens im Handumdrehen und dadurch konnten wir beide oft Zeit gemeinsam miteinander verbringen. Bei sonnigem Wetter trafen wir uns im Freibad regelmäßig an einer verabredeten Stelle, breiteten unsere Luftmatratzen aus und lästerten nach Spiel und Spaß im noch zu kalten Wasser trefflich über ebenfalls anwesende Schulkameraden. Sonnenschein, Fassbrause, Softeis und zwei in Handtücher eingewickelte und mit blauen Lippen zitternde Teenager mit nassen Haaren – das waren die Zutaten eines glücklichen Frühjahrs. In dieser Jahreszeit mussten wir noch keine Angst vor der Buschmücke haben, obwohl das Wetter ungewöhnlich oft schon heiß und schwül war. Und dann kamen in den Nachrichten die ersten Meldungen über den viel zu früh einsetzenden Monsunregen. Schon im April ergossen sich auf dem indischen Subkontinent monatliche Niederschlagsmengen von mehr als zweitausendfünfhundert Liter pro Quadratmeter, was zuvor nur als Spitzenwert des Hauptmonsunmonates Juli und auch nur in der bis dahin am meisten bedrohten Provinz Cherrapunji beobachtet worden war. Sowohl der Ganges als auch die Flüsse Narmadi, Mahanadi und Godavari waren kurze Zeit später über ihre Ufer getreten und durch die unglaublichen und nicht enden wollenden Regenfälle innerhalb weniger Wochen auf eine Breite von vielen Kilometern angewachsen. Der Krishna im Süden Indiens bildete mittlerweile ein weitflächiges und langgezogenes Netz flacher Binnenseen. Von Juni bis August stiegen die Niederschläge noch einmal fast auf das Doppelte, nie da gewesene Sturzregen schier biblischen Ausmaßes überzogen viele Regionen. Überall im Land begruben gewaltige Erdrutsche und Schlammlawinen die Menschen unter sich, tiefer gelegene Ebenen hatten sich fast komplett in Tümpel-Landschaften verwandelt und in den Großstädten stand das Wasser meterhoch in allen Straßen. Erst nachdem Zehntausende durch Stromschläge, Ertrinken und einstürzende Häuserwände den Tod gefunden hatten, wurde landesweit das Militär aktiviert. In den großen Metropolen waren Hunderttausende in ihren Wohnungen gefangen. Geschäfte blieben geschlossen, das öffentliche Leben hörte auf. Das Wasser hatte Millionen Landarbeiter, Pilger und die Ärmsten der Armen aus der Kaste der Unberührbaren in unzähligen Regionen auf kleinen Inseln von der Außenwelt abgeschnitten. Die Armee versuchte, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen, musste aber wetterbedingt immer wieder Rettungsflüge aussetzen, eben errichtete Hilfsbrücken davon schwimmen sehen oder ihr eigenes schweres Gerät aufgeben. Überall herrschten Trinkwassermangel und Lebensmittelknappheit, weil die noch vorhandenen Vorräte vom Wasser mitgerissen und unbrauchbar gemacht worden waren. In den träge und behäbig dahin strömenden Flüssen trieben unter gleichmäßig dunkelgrauem Himmel Unmengen an Tierkadavern, Unrat und Müll und schon in den darauf folgenden Wochen hunderttausende Leichen vor sich hin. Die Stromversorgung wurde abgestellt, Telefonverbindungen existierten nicht mehr. In den Großstädten Mumbai und Kalkutta griffen Hungersnöte und Krankheiten um sich und in vielen kleineren und mittleren Städten brachen Proteste und Revolten aus.