Читать книгу Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte. Roman онлайн
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Mit einem süddeutschen Akzent erkundigt er sich nach meinem Befinden. Er lässt die Blätter des Laborberichts ein paar Mal zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her gleiten, bis er die Stelle findet, die er mit einem roten Filzstift gemarkert hat.
Die Pause empfinde ich als beängstigend. In die Stille hinein empfiehlt er eine Rückenmarkbiopsie und spricht davon, dass die Blutwerte eine monoklonale Gammopathie anzeigen.
»Was ist das?«, frage ich.
»Wir müssen ausschließen, dass es sich um etwas Bösartiges handelt.«
»Krebs?«
Der Professor deutet ein Nicken an.
Kaum ist das Wort heraus, wird es dunkel vor meinen Augen. Es ist, als ginge schlagartig das Licht im Arztzimmer aus an diesem düsteren Apriltag. Eine finstere Macht krallt sich um mein Herz. Der Puls klettert bis zum Hals. Die Wörter laufen mir weg, ohne dass ich sie kontrollieren kann, als ich mit der resoluten Arzthelferin einen Termin für die Biopsie vereinbare.
Da ist es wieder, dieses Gefühl. Es ist so betagt wie ich, es ist mein lebenslanger Begleiter. Ich kenne das alles. Es ist wie das Crescendo in der Musik, steigt langsam an, erreicht einen Höhepunkt und verebbt dann wieder. Es verändert für Wochen und Monate mein Leben, wie damals, als meine Frau mich verlassen hat, oder wie jetzt, wenn das böse Wort Krebs fällt. Es ist ein diffuses Gefühl existenzieller Bedrohung, dem man hilflos ausgeliefert ist. Es ist so, als hechle ein großer bissiger Hund ständig hinter einem her. Es ist Grauen, Lähmung und Panik in einem und kommt von tief unten aus einer Seelenschicht, in die das, was man mit dem Allerweltsbegriff Angst umschreibt, nicht hinabreicht. Es ist ein Seelengefängnis. Wie nur bin ich da hineingeraten?