Читать книгу Unentrinnbar онлайн
2 страница из 97
Die Glocke läutete zum zweiten Mal. Die Pause war zu Ende. Die meisten Zuschauer saßen wieder auf ihren Stühlen. Befriedigt stellte er fest, dass der Platz 182 noch leer war, fast leer. Nur eine einzige, kunstvoll verpackte Rose, lag auf dem Polster. Seine solide Recherche zahlte sich aus. Präzise wie ein Schweizer Uhrwerk lief der Zeitplan ab. Margot Winter-Merian betrat den Saal wie erwartet als Letzte, bevor sich die Türen schlossen. Reihe acht erhob sich, um die eigenwillige Dame durchzulassen. Maximale Aufmerksamkeit war ihr sicher. Er beobachtete gespannt, wie sie nach kurzem Zögern die Rose aufnahm. Er glaubte, ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu bemerken, als sie sich eilig nach ihrem unbekannten Verehrer umsah, bevor sie sich setzte, die Rose mit beiden Händen zärtlich an ihre Brust gepresst. Applaus brandete auf, als gälte er ihr.
Die Solistin setzte sich auf den Stuhl in der Mitte der Bühne, rückte das Cello zurecht, legte den Hals des kostbaren Instruments an ihre linke Schulter, senkte die Lider einen Augenblick in höchster Konzentration. Die Spitze des Bogens berührte die Saiten. Der schnelle Aufstrich, dann das getragene, tiefe d. Der melancholische Auftakt des Largo, der erste Takt der Suite für Violoncello Nummer 2 in d-Moll von Max Reger. Musik zum Sterben. Wellen gleich brandeten die nächsten Takte über die Zuhörer. Atemlos lauschte er dem innigen Dialog der Solistin mit ihrem Instrument, gefesselt wie alle im Saal von der epischen Breite, die allein diese paar Töne andeuteten. Die ausdrucksstarke Musik verdrängte für einen Augenblick jeden anderen Gedanken, drang nicht nur durchs Gehör in seinen Kopf, sondern durch jede einzelne Pore seiner Haut direkt auf die Knochen, wie ihm schien. Seine Augen aber hafteten nicht auf der Künstlerin, die solche Wunder vollbrachte. Sie waren starr auf die Silhouette im Sitz Nummer 182 gerichtet. Die Solistin strich kräftig das d eine Oktave höher. Die Musik steigerte sich ins Forte des vierten Takts.