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Kapitel 4

Doktor Karl Mertens spürte ein leichtes Unbehagen in der Magengegend. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass die 20. Leiche, die er sich heute kurz nach Sonnenaufgang im großen Kühlraum des Krematoriums auf dem Friedhof in Hannover-Lahe genauer anschaute, schon stark verwest war und deshalb einen intensiven süßlichen Geruch im Raum verströmte, den selbst er als unangenehm empfand. Der Rechtsmediziner kannte den Geruch des Todes nur zu gut. In seinen fast 40 Dienstjahren hatte er schon so ziemlich alles gesehen und gerochen, was mit dem Tod zu tun hatte – an ungezählten Leichenfundorten, in den Kühlräumen der Feuerhallen und im Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule, dessen stellvertretender Leiter er war. Mertens war für seine ausgezeichnete Nase bekannt. Er verstand es wie kaum ein anderer, Gerüche – wenn sie für die forensische Begutachtung einer Leiche wichtig waren – zu bewerten und zu identifizieren. Das konnte für die Klärung einer Todesursache von äußerster Wichtigkeit sein. Einmal hatte er einen Giftmord förmlich erschnüffelt. 1992 war das gewesen. Eine betrogene Ehefrau hatte sich seinerzeit ihres Mannes entledigt, indem sie ihm Zyankali in seine Leibspeise gemischt hatte. Weiß Gott, woher sie das Zeug hatte. Doktor Mertens hatte sofort den Bittermandelgeruch bemerkt – im Gegensatz zu manchen Menschen, die aus genetischen Gründen gar nicht dazu in der Lage waren, diesen verräterischen Geruch wahrzunehmen. Die hellroten Totenflecke waren ein weiteres sicheres Zeichen für eine Cyanid-Vergiftung gewesen.

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