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Mertens hatte schlecht geträumt. Von einer Leiche. Das war noch niemals zuvor geschehen. Er hatte in seinem Berufsleben schon mehr als 5000 Tote obduziert, sie mit scharfen Werkzeugen aufgeschnitten und deren Organe untersucht. Er schüttelte sich noch einmal, legte sich dann wieder auf den Rücken und dachte nach. Die Tote, von der er geträumt hatte, lag immer noch in einem Kühlfach des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule, deren stellvertretender Leiter er war. Er hatte nicht herausfinden können, woran die junge Frau gestorben war, bei der Obduktion allerdings auch keine Spuren entdeckt, die auf Fremdverschulden hinwiesen. Vorerst gab es keine Anzeichen für Mord, Totschlag oder fahrlässige Tötung. Und dennoch hatte ihn diese Leiche bis in den Schlaf verfolgt. Das war neu für ihn – und wahrlich kein schönes Erlebnis. Jedenfalls beschloss der erfahrene Rechtsmediziner, sich den Leichnam ein zweites Mal anzuschauen. Er hatte in dieser Nacht das Gefühl, dass die Tote aus Kühlfach Nummer sechs ihm etwas sagen wollte. Wirst du jetzt auf deine alten Tage etwas crazy?, fragte er sich. Kurz bevor er wieder einschlief, kam ihm das lateinische Sprichwort „Mortui vivos docent“ in den Sinn. „Die Toten lehren die Lebenden“ – ja, so ist es, dachte er. Es war der Leitsatz aller Pathologen und Gerichtsmediziner.

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