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Es war eine Stunde vor Sonnenuntergang. Der Regen machte eine Pause, die Wolken flitzten wie Getriebene vorbei und ließen keinen Blick auf den Himmel zu. Herma beschloss, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Sie wollte fühlen, dass sie lebte. Sturmböen trieben Nebelschwaden vor sich her. Die kahlen Äste der Bäume, die von ihrem Paps als Windbreaker rund ums Haus gepflanzt worden waren, schienen nach ihr zu greifen, als Herma van Dyck die Tür hinter sich ins Schloss zog. Der Mordkommissarin machte die unheimliche Stimmung keine Angst. Sie wollte ganz andere Gespenster loswerden. Herma lächelte nur; sie zog ihr iPhone 7 aus der rechten Gesäßtasche und hielt den magischen Moment fest. Dann ging sie schnellen Schrittes über den schmalen, aber asphaltierten Deichverteidigungsweg zum 200 Meter entfernten Seedeich, den sie aufgrund des dichten Nebels und der einbrechenden Dunkelheit nicht sehen konnte. Herma kannte den Weg wie ihre Westentasche. Sie war ihn schon unzählige Male gegangen – bei Wind und Wetter. Ein paar Minuten später hatte die Ostfriesin die Treppenstufen hinauf zur Deichkrone hinter sich gelassen. Sie breitete ihre Arme aus, lehnte sich in den Wind, der ihr das Gefühl gab, sie kurzzeitig halten zu können. Das Meer konnte Herma nicht ausmachen, wohl aber riechen und hören. Die Wellen klatschten gegen den mit schweren Basaltsäulen verkleideten Deichfuß. Herma atmete tief durch, sog die salzige Luft gierig ein wie ein Kettenraucher den Nikotinrauch. Sie würde sich heute Abend ein schönes Glas Rotwein gönnen, früh zu Bett gehen und morgen eine Entscheidung fällen.

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