Читать книгу Der wandernde Krieg - Sergej онлайн
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Doch dies geschah selten, denn in Neurath gab es nicht viele Kinder. Es war ein Kuriosum, den Statistikern der Stadt wohlbekannt, auch wenn sie nicht offen darüber sprachen, denn sie hatten keine Erklärung dafür. Die Geburtenrate hatte im Laufe des 20. Jahrhunderts stetig abgenommen. Es war, als wäre das Dorf an sich trocken, wenig Frucht bringend. Junge Paare, die sich eine Familie wünschten, schienen das manchmal zu spüren. Sie zogen weg, aus den Mietwohnungen, aus den kleinen Häusern, und nicht selten gelang die Familiengründung, sobald sie das Dorf hinter sich gelassen hatten. Oft war dies Stoff für innerfamiliäre Scherze. Doch wenn all diese Paare ihre Geschichten zusammengetragen hätten, wäre ihnen das Lachen womöglich vergangen – sie waren sich alle zu ähnlich. Wo in Neurath Kinder und Jugendliche lebten, da waren es fast ausschließlich Zugezogene.
Neurath starb. Nicht zum ersten Mal. Denn Neurath war alt. Sehr alt. Als ein paar Familien vor Jahrhunderten die lange, schmale Rodung am Fluss verlassen hatten, um ihr eigenes Dorf – die Neue Rodung – zu gründen, da flohen sie vor den beunruhigenden Dingen, die in der langen Rodung geschahen, vor dem, was der Fluss brachte. Sie siedelten auf dem fruchtbaren Waldland unterhalb der Hügel und sie belebten ohne es zu wissen eine Stätte wieder, auf der schon lange zuvor eine Siedlung entstanden, erblüht und vergangen war. Ebenso wie am Fluss, nicht weit entfernt. Und davor. Und davor. Seither war auch Neurath erblüht und vergangen, doch niemals mit dem Lauf der Geschichte. Die Pest hatte das Dorf ebenso verschont wie alle Kriege. Ende des 16. Jahrhunderts flüchteten sich einige Mitglieder einer besonders kleinen, protestantischen Sekte hierher, um der Verfolgung zu entgehen, mit der sie ihre lutheranischen und calvinistischen Brüder ebenso bedrohten wie die Papisten. Sie wunderten sich, ein völlig verlassenes, aber fast vollständig bewohnbares Dorf vorzufinden, richteten sich ein und gediehen, weitgehend unbemerkt von den Nachbargemeinden und durch viele glückliche Zufälle völlig übersehen von jeder Soldateska, die in den folgenden Jahrzehnten durchs Land zog.