Читать книгу Der wandernde Krieg - Sergej онлайн
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Zurück in der Redaktion habe ich Gustav Wegner angerufen, den alten Hobbydenunzianten. Ich wollte mir mal ein paar Geschichten über den neuen Nachbarn anhören. Ich war sicher, dass Wegner ihn schon gesehen und begutachtet hatte. Hatte er auch, aber er hatte dermaßen viel Kreide gefressen, dass ich ihn kaum wiedererkannt habe. Wegner, der sonst versucht, jedes Kind anzuzeigen, das über seinen Rasen läuft, und regelmäßig in Leserbriefen gegen die Überfremdung von Langenrath wettert und überhaupt auf alles und jeden schimpft, erzählte mir so begeistert von dem „jungen Herrn von Reudh“ und den „großen Plänen, die er mit Neurath hat“ (von denen hatte der junge Herr mir nichts erzählt, und Wegner konnte mir auch nicht genau sagen, worum es geht), dass der Schleim fast aus dem Hörer tropfte. Ich werde dem jungen Herrn jedenfalls auf die Finger sehen. Bei Wegners Begeisterung und Wortwahl zieht der da womöglich irgendein Neonazi-Camp oder so was auf. Nicht mit mir!
Vorhin habe ich dann noch den letzten Paranoiker besucht, den, der den Irren schon am Donnerstag gesehen hatte. Eigentlich ein netter Kerl namens Andreas Wingfeld, so Anfang dreißig, sehr lieb und höflich, aber total durchgeknallt. Wie sich herausstellte, hatte er ihn nicht in natura gesehen, sondern in einem Traum. In dem Traum hat er Feuer gesehen und schreiende Menschen und Krieg und Blut und natürlich den Irren mittendrin, und die Menschen fielen tot um, wo er ging, und wo ging er? Klar: direkt durch Langenrath. Ich hörte mir den Mist eine Dreiviertelstunde an (kürzer ging nicht, er hatte Kaffee und Kuchen gemacht), verkniff mir, nach Hörnern, Schwänzen und Bocksbeinen zu fragen, und machte dann, dass ich wegkam. Jetzt wird erst mal geschlafen. Ich hoffe, ich kann mal wieder durchschlafen, aber ich befürchte, ich träume von meinen heutigen Begegnungen mit dem Irrsinn. Gute Nacht, Tagebuch.