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Kappadokien. Der Name war mir ein Begriff. Doch was wissen wir, wenn wir meinen, ein Wort schon einmal gehört zu haben? Nichts bis nicht viel. Ich zumindest. Ich will sehen, anfassen, erleben. Dann wird aus dem Begriff ein Wort, ein Bild, eine ganze Geschichte. Atil lernen wir hier kennen. Einen, der täglich einen Berg besteigen muss, um sich selbst im mindesten zu spüren. Jahrelang ein Ungestüm ist er nun Vater und Ehemann. Chef seiner eigenen Agentur. Eine für Reisende, die das Wagnis suchen, zumindest ein klein wenig.

Sein heimliches kleines Großprojekt zeigt er uns abends im Licht der Taschenlampe. Ein Haus, wie eine gealterte Lady. Man sieht ihr den Glanz der glamourösen Zeiten noch an. Müll wegschaffen, Löcher stopfen, Treppen begehbar machen, war schon lange nicht mehr das Interesse der alten Dame. Sie bröckelt geräuschvoll vor sich hin. Doch Atil hat einen Traum. Er will sie neu einkleiden. Davor mal richtig waschen, parfümieren und frisch frisieren. Ein Gehstock wird nötig sein, vielleicht sogar ein fahrbarer Untersatz. Alles, alles will Atil ihr geben. Seiner alten Dame, dem Haus. In vier Wochen soll sie, äh es, frisch verputzt und renoviert sein. Klar, den Zeitplan bestimmt hier gerade nicht das Machbare. Die Saison sagt, wann das Agenturgebäude fertig zu sein hat. Und Saisonstart ist in einem Monat. Basta. Glaube versetzt Berge. Betrachte ich das Haus, glaube ich nicht daran, dass in vier Wochen ganze Treppenhäuser erneuert sind, Decken und Fußböden ihre klaffenden Löcher gegen Tritt- und Schallschutz eingetauscht haben, Strom fließt und Wasser mehr kann, als aus den Wänden zu tropfen. Schaue ich hingegen in Atils entschlossenes Gesicht, habe ich keinen Zweifel am Gelingen seines Vorhabens. Und wir? Erheben uns morgens im ersten Licht des Tages in die Lüfte. Rauchen gen Himmel eine Art Wasserpfeife mit unserem warmen Atem der Nacht, nicht geschmacklos, doch in jedem Fall ohne Apfelaroma. Aufstieg in einem der frühen bunten Vögel. Ballons um mich herum. Die Morgenthermik ist ihre Geliebte. Wie die Andacht zu einer zeitigen Sonntagsstunde. Der Pfarrer hält wortlos inne. Die Geste seiner ausgebreiteten Arme reicht aus. Mehr ist nicht nötig, um zu verstehen. Traue den Menschen mehr zu. Sie brauchen nicht alles als Brei vorverdaut in der Schüssel. Ihre eigene Geschichte verknüpft sich mit dem, was im Moment mit ihnen geschieht. Der Pfarrer der Lüfte hat es begriffen. Schweigend fahren wir, an Höhe gewinnend, winken Atils mondäner Dame zu und geben ihr den Segen der heißen Luft. Sekttrunken von der Taufzeremonie der Ballonfahrer rollen wir später in Atils Küche. Leo muss draußen bleiben. Atil, nicht nur Liebhaber der steinernen, bröckelnden Dame, mehr noch mein Verführungskünstler in der Welt des Kochens, ganz heimlich in Nemeshir in Kappadokien.

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