Читать книгу Der kalte Engel. Roman. Doku-Krimi aus dem Berlin der Nachkriegszeit онлайн
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Muschan liebte es, im Fenster zu liegen und auf die Bahnanlagen hinunterzusehen. Links von ihm erstreckte sich bis hin zum Innsbrucker Platz der Güterbahnhof, und unmittelbar vor ihm lag der Bahnhof Wilmersdorf. Schon als Kind hatten ihn die gelbroten S-Bahnzüge fasziniert, und immer wieder hatte er ihr langgezogenes Öööööh nachgemacht, wenn sie anfuhren. Oder das Zischen der Druckluft beim Bremsen. In der Gegend um den Bahnhof Wilmersdorf und den Kaiserplatz gab es nur vergleichsweise wenig Ruinen, und auch im Jahre 1949 wehte hier noch ein Hauch jener gediegenen Bürgerlichkeit, die Berlin zur Zeit des Nesthäkchens ausgezeichnet hatte. »Schutzmannsruh« sagten Muschans Kollegen dazu.
Es war nun genug gelüftet. »Besser warmer Mief als kalter Ozon«, war das Motto dieser Jahre, wo Holz und Kohle Mangelware waren. Muschan schloss das Fenster und wandte sich wieder seinen beiden großen Kindern zu. Manfred, mit seinen zwölf Jahren noch ein »echtes Vorkriegsmodell«, spielte mit den mühsam reparierten Resten einer Märklin-Eisenbahn, und Hannelore, 1941 bei einem Fronturlaub gezeugt, vergnügte sich mit einer Puppe, die ihre Oma aus ein paar Putzlappen gezaubert hatte. Dieses Jahr Weihnachten sollte es endlich neues Spielzeug geben. Jetzt, wo man wieder alles kaufen konnte. Helga, die Jüngste, hatte gerade laufen gelernt und riss alles vom Couchtisch und den Regalen herunter. Uschi kam gar nicht so schnell hinterher, alles wieder aufzuräumen. Und Ordnung lag ihr sehr am Herzen, denn von Hause aus war sie Verwaltungsangestellte und hatte früher im Rathaus Wilmersdorf das Mess- und Eichwesen betreut. Staub lag auf dem Rahmen ihres Hochzeitsfotos von 1936. Sie fuhr mit dem Zeigefinger darüber. Es hatte weit und breit kein schöneres Paar gegeben als sie.