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Nein, ich meine, Sie rationalisieren Ihre Tat. Den Mord.
Also erstens mal ist das im Moment noch ein einfacher Todesfall, der sich, wie ich fest glaube, als ein Unglück entpuppen wird, als Naturkatastrophe, als höhere Gewalt –
Mord.
Ah! Wissen Sie was: Es gibt sowieso zu viele von uns. Wir sind sieben Milliarden Menschen auf der Erde, und bald werden wir noch mal so viele sein! Wir werden uns kloppen um jeden Tropfen Öl, um jeden einzelnen Baum, um jeden Meter Land, und zwar noch in dieser Generation! Was macht es da, wenn die gehen, die sowieso niemand braucht?
Sie haben also ein ökologisches Motiv.
Eher ökonomisch, würde ich sagen. Ich glaube einfach nicht, dass es für alle reicht. Und ich will auch noch was von meinem Leben haben.
Wieso wenden Sie Ihre Überzeugungen nicht auf sich selbst an? Oder auf Ihre – Komplizin? Sind Sie nicht ebenso überflüssig wie Steenbergen es war?
Ach, lecken Sie mich doch am Arsch.
Zwei
Er hatte sich nie richtig verändert. Wenn Richard Romanoff, 42, freiberuflicher Historiker, sich in die Mitte seiner Wohnung stellte – also in die Küche –, dann konnte er mit einem Rundumblick die gesamte Misere betrachten: Er lebte in einer Studentenbude. Einer dreckigen Studentenbude. Er war der Freak, der in der WG-Wohnung hängen geblieben war, der Letzte von vielen. Noch heute zehrte er von den vergangenen Partys, den Dramen und Krächen, den selbstgebauten Möbeln, den Kinoplakaten. Niemals hatte er eigenes Geschirr gekauft. Und neben der Fensterbank am Esstisch hing nach wie vor der verblichene Spülplan, den die nervige Yvonne damals dorthin gepinnt hatte, damit ihn auch wirklich jeder sehen konnte. Yvonne war übrigens immer noch nervig. Wenn sie vorbeikam – das tat sie! –, konnte es passieren, dass sie Tassen mitnahm. Sie nagelte ihre High Heels in den Parkettboden, der schon vor zwanzig Jahren vernachlässigt gewesen war, zog ungeniert Schubladen auf und wunderte sich, wie klein alles war. Richard seinerseits fand Yvonne klein: Sie hatte ihr Studium abgebrochen und den Prof geheiratet. Oder umgekehrt. Auf jeden Fall war sie nun Mitglied der Unigemeinde und dekoratives Anhängsel des Fachgebietes, für das auch Richard arbeitete. Er hielt als freier Mitarbeiter die Vorlesungen über Karl den Großen, leider allerdings nicht etwa, weil man seine wissenschaftliche Kompetenz besonders schätzte, sondern weil der Chef des Fachgebiets selbst sich an den Ottonen festgefressen hatte und den großen Karl nur für ein lästiges Hindernis seiner Forschung hielt. Wobei der Prof in seiner Abneigung sogar heimlich mit der Illig-These sympathisierte. Die Studierenden kamen zuweilen völlig überdreht aus seinen Seminaren und zettelten dann bei Richard heiße Diskussionen darüber an, ob es Karl den Großen und die ganze Karolingerzeit überhaupt gegeben hatte. Eventuell war das aber auch nur eine kleine Rache dafür, dass der Prof jetzt die nervige Yvonne an der Backe hatte, die hatte er nämlich seinerzeit hier in der WG kennengelernt. Wie auch immer, auf jeden Fall hatte Richard außerdem die Übersetzungen aus dem Russischen und dann, mit etwas Glück, seine Aufträge. Die waren seine eigentliche Arbeit. Er besaß nämlich einen besonderen Riecher für bedeutsame Altertümer, und wenn er Glück hatte, wurde er von anerkannten Museen und Wissenschaftlern um Hilfe gebeten. So hatte er bereits mehrere seltene Papyri wiederentdeckt, außerdem eine anderthalb Meter hohe Sandsteinstatue des persischen Königs Solsol in der Rolle des Volkshelden Rostam und noch so einiges andere, was verborgen und unerkannt in Museumskellern gelegen hatte. Man konnte sogar gut Geld damit verdienen, nur eben leider nicht regelmäßig. Manchmal war dermaßen viel zu tun, dass er einen Helfer einstellen musste, doch darauf folgten stets wieder Durststrecken. So wie jetzt gerade.