Читать книгу Schatten über Adlig-Linkunen. Kriminalerzählung онлайн
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Über dem Herd hing ein Regal mit diversem metallenen Koch- und Essgeschirr, Löffeln aus Holz und Messern. Ihre drei Entführer waren noch immer vermummt und stumm. Anna bemerkte, dass sie mit Pistolen und Messern bewaffnet waren, von oben bis unten schwarz gekleidet, ihre Kapuzen enthielten nur an den Augen, Nasen und Mündern kleine Schlitze. Einer von ihnen machte sich jetzt am Herd zu schaffen und entfachte ein Feuer, das laut zu knistern anfing. Ein anderer bereitete einen Wasserkessel vor, den er auf den Herd stellte. Der Dritte stand ihr schweigend gegenüber, etwas breitbeinig, so dass ihr sofort klar wurde: jeglicher Versuch, etwas ihrerseits zu unternehmen, wäre zwecklos. Anna litt furchtbare Angst. Selbst wenn sie hätte schreien können, es hätte nichts genutzt. Wahrscheinlich hielten sie sich hier an einem völlig einsamen Ort auf, mitten in den masurischen Wäldern, fern ab von jeglicher menschlichen Besiedlung. Plötzlich fing sie an zu zittern, was ihr anfangs zu unterdrücken gelang, brach jetzt völlig aus ihr heraus. Ihr Bewacher trat auf sie zu; sie geriet in Panik, hatte keine Möglichkeit, ihr Gesicht mit den gefesselten Händen vor möglichen Schlägen zu schützen. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Die vermummte Gestalt legte sanft die rechte Hand auf ihren Kopf und flüsterte: „Sei ruhig, sei ruhig! Dir wird nichts geschehen.“ Anna starrte ihn an, direkt in die von den Schlitzen freigegebenen Augen. Und dieser Blick war keineswegs feindselig, man hätte fast meinen können, diese Augen lächelten sie an! So grotesk es in dieser Situation auch war, Anna beruhigte sich, das Zittern ließ nach. Noch einen Augenblick lang sahen sie sich an, dann zückte die Gestalt ein Messer, aber eher langsam und bedächtig, als um zu demonstrieren, dass keine Gefahr bestand, und zerschnitt Annas Hand- und Fußfesseln. Unwillkürlich rieb sie sich ihre Handgelenke, obwohl diese nicht schmerzten. Die anderen beiden Männer waren damit beschäftigt, irgendetwas Essbares zuzubereiten. Der eine unterbrach seine Tätigkeit und kam zu Anna, die nun ohne Fesseln zusammengesunken in dem Sessel saß. Er sprach sehr leise und mit einem russischen Akzent: „Hör zu Maria, dir wird nichts angetan, aber du musst tun, was wir verlangen. Das ist nicht viel. Du musst einfach nur eine Weile hier bleiben, bis wir dich wieder fortbringen; keine Fragen stellen, keinen Aufstand machen. Du wirst eine Zeit lang hier leben, schlafen und essen. Dann wirst du wieder frei sein. Nicht schreien, nicht rufen, nur das Nötigste reden. Ist das klar?“ Anna wollte gerade sagen „Aber ich bin nicht Maria, ich bin Anna!“, als sie erkannte, dass das die Situation nur komplizierter machen konnte. Eine Verwechslung! Man hatte Maria entführen wollen und sie erwischt. Die drei Gestalten glaubten, sie hätten die Tochter der Herrschaften Kokies in ihrer Gewalt! Wenn sie sich jetzt als Anna Doepius zu erkennen gegeben hätte, blieb die Möglichkeit, dass sie ihr nicht glaubten, oder dass sie diese als völlig nutzlos betrachteten. Nicht auszudenken, was im zweiten Fall geschehen würde! Nutzlos in den Augen von skrupellosen Entführern zu sein, bedeutete zweifellos den sicheren Tod. Also widersprach Anna nicht. Sie nickte nur. Sie hatte Tränen in den Augen und einen Kloß im Hals. Das alles war zu viel für sie. Ihr bisheriges Leben war recht sorglos verlaufen; sie liebte ihre Eltern und fühlte sich von ihren Eltern geliebt. Sie hatte sich immer geborgen und beschützt gefühlt. Sie hatte Maria und Hannes als Freunde, ja, die Herrschaften Kokies erkannte sie jetzt als liebevolle Angehörige. All das war jetzt weit, sehr weit weg. Anna brach in Tränen aus. Nun hielt auch die dritte Gestalt inne in ihren Tätigkeiten am Herd. Außer dem Schluchzen und dem Knistern des Feuers im Herd war nichts in dem Raum zu hören. Da kam wieder die erste vermummte Gestalt, legte die Hand auf ihren Kopf und sagte: „Frau, beruhige dich, wir werden dir nichts tun, lass gut sein!“ Anna wurde etwas ruhiger. Plötzlich drehte sich der Geselle, der bisher am Herd zugange war, um, schmiss das in seiner Hand befindliche metallene Geschirr zu Boden und schrie: „Ich halte das nicht mehr aus!“, öffnete die Tür neben dem Herd und verschwand dahinter.