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Faszinierend fand sie auch den struppigen brünett gefärbten Mann am hauseigenen Computer, den man laut Vorschrift nur eine Viertelstunde lang benutzen durfte. Der Struppige saß oft viel länger daran, vertieft in Recherchen, die Cressida von ihrem Platz aus nicht erkennen konnte. Er schien im Literaturhaus zu leben – wann immer Cressida durch das Haus ging, sah sie ihn in irgendeinem der Räume. Sie hatte bei der öffentlichen Hausführung vor ein paar Tagen gehört, dass sich die Bücherregale des Archivs im Keller immer noch in Luftschutzbetten umwandeln ließen – wahrscheinlich konnte man dort zur Not übernachten. Der Mann könnte der Geist der unterirdischen Räume sein, allgegenwärtig und allwissend, Kenner sämtlicher Geheimnisse des Hauses. Wofür er wohl alle diese Informationen verwendete – hortete er sie nur für sich selbst? Ein Netz von möglichen Geschichten breitete sich vor ihr aus.

Hinten, in einem der roten Ledersessel, saß ein Mann, der aus dem Rahmen fiel, und das nicht nur, weil seine voluminöse Gestalt über die Sessellehnen quoll. Fett, hätte man früher gesagt, heute durfte man das nicht mehr, wirklich erschreckend, wie schnell sie sich ganz automatisch an das allgemein verordnete Newspeak angepasst hatte. Verfilztes graues Haar, langer Bart, dunkelroter Schal, die breite Gestalt in einen fleckigen Trenchcoat gehüllt, weit über den nächsten Sitzplatz zur Seite gekippt, offenbar im Tiefschlaf. War das ein Penner von der Straße, der sich hier eingeschlichen hatte? Im Allgemeinen fühlten Obdachlose sich im Helmhaus auf der anderen Straßenseite ganz wohl. Dort war alles ebenerdig, keiner war dort lärmempfindlich, und es gab eine öffentliche Toilette. Warum sollte einer der Obdachlosen also bis in den Lesesaal der Museumsgesellschaft heraufsteigen? Kannte er hier jemanden? Vielleicht war er der vom Leben gebeutelte Onkel eines Mitglieds, dessen man sich schämte, der jedoch immer wieder ungefragt auftauchte und nur mit viel Alkohol und Drogen ruhiggestellt werden konnte. Wie lange er hier wohl schon unbehelligt saß? Der Lesesaal war den Mitgliedern der Museumsgesellschaft vorbehalten, und Karin war immer pflichtbewusst genug, das zu überprüfen. Lieb, aber irgendwie zwanghaft, die Arme. Cressida nahm sich vor, ihr ein bisschen mehr Lebensfreude und Frechheit einzuimpfen. Dies wäre gerade eine gute Gelegenheit, mit ihr zusammen eine Kaffeepause einzulegen. Cressida drehte sich zum Pult der Lesesaalaufsicht um. Doch der Platz war leer.

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