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Aber ich glaube, dass sich Deine Mutter in einem entscheidenden Punkt irrt, und dies ist der eigentliche Grund, warum ich Dir schreibe: Aus meiner Sicht ist Dein Vater damals zu Unrecht verurteilt worden. Ich glaube ihm, wenn er sagt, dass er Annika nicht getötet hat. Und es gibt manche Ungereimtheiten in diesem Fall, die seine Sicht der Dinge stützen.

Es ist natürlich unmöglich, Dir in einem Brief all die Dinge zu schildern, die so lange zurückliegen. Zu Deinem Verständnis aber in aller Kürze die damalige Situation: Dein Vater, der mit mir zusammen in Walsrode aufgewachsen ist, war seit fünf Jahren am Gymnasium Walsrode Lehrer für Deutsch und Politik – ein sehr beliebter Lehrer, was auch nach diesem, entschuldige das blasse Wort, ›Fall‹, von niemandem bestritten wurde. Vielleicht war er bei manchen Schülerinnen allzu beliebt und wahrscheinlich ist ihm das letztlich sogar zum Verhängnis geworden. Denn fest steht, dass Dein Vater mit Annika ein ›Verhältnis‹ hatte, wie man so sagt. Das hat er auch nie bestritten. Er hat es von vornherein bereut und alle Schuld auf sich genommen. Dabei hat eine Mitschülerin Annikas vor Gericht ausgesagt, dass auch Annika nicht ganz unschuldig war. Sie hat für Deinen Vater geschwärmt, wie man nur für einen Lehrer schwärmen kann, sie hat ihm schöne Augen gemacht und ihn vielleicht sogar verführt. Trotzdem hat Dein Vater nie den Versuch unternommen, die Schuld auf Annika abzuwälzen. ›Ich habe mich total vergessen, total versagt, das hätte ich nie tun dürfen‹, hat er mir immer wieder gesagt. ›Ich verstehe, dass ich damit auch Sibylle etwas Schlimmes angetan habe und dass es ihr schwerfällt, mir zu verzeihen. Ich akzeptiere es, dass ich dafür büßen muss, aber ich kann es nicht akzeptieren, dass mir ein Mord angehängt wird.‹

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