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Karl Grothner ging die wenigen Meter zum Haupteingang des Verwaltungsgebäudes, dessen gesamte Fassade aus verspiegeltem Glas bestand und das einen perfekten Würfel von exakt fünfundvierzig Metern Kantenlänge darstellte. Der Fahrer wartete weisungsgemäß genau dreißig Sekunden, bevor er dem »Chef« mit der schwarzen Aktentasche folgte, die er ihm dann vor die imposante Bürotür stellen würde. Frau Huss, die mausgraue Sekretärin des »Chefs«, würde ihm, wenn Karl Grothner das Gebäude wieder verlassen würde, jene schwarze Tasche exakt dreißig Sekunden später hinterhertragen und in den Kofferraum der Limousine legen. So war es jeden Tag. Zu genau derselben Zeit. Karl Grothner hatte jedes Detail im Ablauf seines Arbeitstages durchorganisiert und genauestens geplant. Jede Abweichung von diesem Schema, sofern von den Angestellten verursacht, führte in die sofortige Arbeitslosigkeit. Karl Grothners Chefsekretärin, Frau Huss, war eine unansehnliche Frau mit einem strengen und völlig altmodischen Dutt. Sie trug stets unauffällige, knöchellange Kleider und eine ebenso unspektakuläre Brille und selten Schmuck oder Parfüm. Ihr unterstand die Buchhaltung und das gesamte Sekretariat, das eine Etage tiefer untergebracht war. Ihr oblag die Auswahl der Schreibkräfte, die zum inneren Zirkel des Grothner-Imperiums gehörten, da sie Zugang zu teilweise sensiblen Daten und Vorgängen hatten. Sie konnte von sich behaupten, es am längsten mit dem »Chef« ausgehalten zu haben, würde das aber niemals tun. Sie war wie ein Schatten, wie der Mensch gewordene Nachhall seiner Persönlichkeit und Autorität. Als sie sich vor über fünfzehn Jahren auf die Stelle der Chefsekretärin bewarb, war sie in einem grauen Kostüm zum Bewerbungsgespräch erschienen und hatte fachliche Kompetenz bewiesen und das nötige Maß an Unterwürfigkeit mitgebracht, um die Stelle zu bekommen. Leidensfähigkeit musste sie erst lernen, aber Karl Grothner war diesbezüglich ein guter Lehrmeister. Sie lernte mit der absoluten Emotionslosigkeit des Konzernchefs zu leben, wie man es lernen mag, mit einer Krebserkrankung umzugehen. In den ersten Jahren litt sie seelisch Höllenqualen, wenn Grothner menschliche Existenzen mit eiskaltem Kalkül zerstörte. Sie sah ehemalige Firmenbesitzer geschockt und in Tränen aufgelöst aus Grothners Büro schleichen, nachdem deren Unternehmen vom ständig wachsenden und unersättlichen Grothner-Konzern geschluckt und zerschlagen wurden. Sie musste herzzerreißend weinende ehemalige Mitarbeiter abweisen, wenn diese trotz ihres Leids noch den Mut fanden, mit dem »Chef« persönlich über ihre Entlassung reden zu wollen. Und sie musste dies mit der gleichen Kälte tun wie der »Chef« selber. Sonst würde sie die Nächste sein, die gehen musste. In ihrer Position entwickelte sie eine Art »Stockholm-Syndrom«, die Identifikation mit dem Aggressor. Sie arbeitete schon lange nicht mehr für Geld, sie gehörte Grothner. Wie alles um Karl Grothner herum Karl Grothner gehörte.

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