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Aber was war denn so anders bei den sogenannten Heilern jedweder Provenienz? Traten die etwa weniger priesterhaft auf, wenn sie ihre Puls- und Pupillendiagnose machten oder schlicht die Aura ihrer Klienten orteten, um danach ihre Wässerchen und Kügelchen zu verordnen? Nein, gewiss fehlte es ihnen nicht an Ausstrahlung. Eher strahlten gerade sie jene Gewissheit, jene Überzeugungskraft aus, über die der gute alte Herr Doktor in seinem weißen Kittel schon längst nicht mehr verfügte in seiner krankenkassengestützten Ordination. Die gesellschaftliche Elite und erst recht das breite Bürgertum waren weggebrochen, hatten sich verduftet. Aus dem Mief der Massenordination hinüber in die ausbalancierte, von weichem Salzlicht durchflutete Feng-Shui-Atmosphäre der Heilkünstler. Wer sich nicht beizeiten umstellte, wer nicht selbst Globuli und Magnetbänder verschrieb, galt als Technokrat, bornierter Schulmediziner und willenloser Vertreter der Pharmaindustrie – mit einem Wort als alt. Also passten die Ärzte sich an, sortierten die Apotheker ihre Regale neu. Beide Berufsgruppen empfahlen jetzt ihrer Klientel, wonach diese sich sehnte: nach dem alles heilenden, heilmachenden Lebenselixier. Egal, was man während des Studiums gelernt hatte, egal, was durch zig Doppelblindstudien längst belegt war: Hauptsache, der Astralleib dehnt sich dank des verordneten Rosenquarzes ins Unermessliche; Hauptsache, das Horoskop bettet dich ein in kosmologische Sphären. Und – für den Fall, dass alle Stricke reißen sollten – der ewige, immer richtige Trost: Hilft’s nichts, so schadet’s nichts. Ein Trostpflaster, mit dem man jedem Mund, Augen und Ohren verkleben kann.