Читать книгу Der kalte Engel. Roman. Doku-Krimi aus dem Berlin der Nachkriegszeit онлайн
11 страница из 85
Die Sternstraße im Wedding war eine gigantische Filmkulisse. Nieselregen und Ruinen. Die Mörder sind unter uns. Autos und schweifende Scheinwerfer waren selten wie Sternschnuppen am nachtdunklen Himmel. Über die Nordbahnstraße erreichte er den Bahnhof Wollankstraße und stieg dort die Stufen zur S-Bahn hinauf. Der Zug Richtung Stadtmitte rollte gerade heran. Brauchte er nicht lange zu frieren. In zehn Minuten war er am Bahnhof Friedrichstraße und lief zur Stadtbahn hinauf. Schon an der nächsten Station, Lehrter Stadtbahnhof, sprang er wieder aus dem Zug, weil ihm eingefallen war, dass es besser war, mit der Straßenbahn von hier aus direkt zum Knie zu fahren, als vom Bahnhof Zoo zu laufen.
Er hasste diesen langen Arbeitsweg! Dabei war er äußerst reizvoll, denn Walter Kusian reiste durch zwei Städte. Die Teilung Berlins, die nun schon zum Alltag gehörte, hatte im Juni 1948 mit dem Auszug der Sowjetunion aus dem Alliierten Kontrollrat begonnen. Während Ost-Berlin im Oktober 1949 zur Hauptstadt der DDR erklärt wurde, blieb West-Berlin formal Viermächtestadt und bloßes, wenn auch heiliges und teures Anhängsel Bonns und seiner Republik. Es war so, wie es der sozialdemokratische Wirtschaftstadtrat Klingelhöfer auf den Punkt brachte: »Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass Berlin geteilt sein wird, als wären es zwei Städte.« Die Haltestelle lag gleich gegenüber vom Ausgang an der Invalidenstraße. Trotz der frühen Stunde stand schon eine Gruppe anderer Fahrgäste an der Haltestelle. Auch viereinhalb Jahre nach Kriegsende sahen sie noch immer elend aus, blass, mager und verhärmt. Er hörte Elisabeths Stimme: »Wehe den Besiegten.« Männer gab es kaum noch. Die beiden, die er sah, hatten wie er eine Wehrmachtsmütze auf. Wohl dem, der eine hatte. Sogar die Torhüter bei den Fußballern schätzten sie. Die Frauen waren alle dick eingemummelt, und man konnte nur ahnen, dass sie welche waren. Aber vielleicht sind sie schon keine mehr, dachte er, und bei ihnen ist alles zugewachsen, was sie zwischen den Beinen haben. Wer konnte sich schon vorstellen, mit einer Trümmerfrau im Bett zu liegen. Er nicht. Da war er anderes gewohnt. Der Witz, den ihm Arthur gestern erzählt hatte, fiel ihm wieder ein.