Читать книгу Unschuldsengel. Kappes neunter Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1926) онлайн
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Sie sahen sich an und begannen von neuem mit der Lacherei. «Danke, Charlotte! Mir geht et jetzt wieder viel besser. Du bist ’ne jute Freundin. Ick hoffe, ick kann dir det mal zurückjeben.»
Hermann Kappe hatte sich auf dem harten Holzstuhl niedergelassen, der neben dem Besucherstuhl die einzige Sitzgelegenheit in seinem Bureau darstellte. Er verfluchte wohl zum hundertsten Mal, dass er immer wieder vergaß, Klara um ein Sitzkissen zu bitten. Sie könnte ihm sicher eines aus ihrem Fundus an Stoffresten fertigen. Es musste ja nicht ausgerechnet der Blümchenstoff sein, der beim Nähen von Klein-Margaretes Sonntagskleid übrig geblieben war. Doch Blümchen hin oder her, sein Hinterteil und nicht zuletzt sein Rücken würden es ihr ewig danken. Er war gerade einmal 38 Jahre alt, aber wenn er Stunden auf dem harten Stuhl verbracht hatte, fühlte er sich mitunter wie 70.
Neiderfüllt dachte Kappe an die Möbel, die im Amtszimmer von Kriminalpolizeirat Ernst Gennat im ersten Stock des Polizeipräsidiums standen: ein grünes Plüschsofa und ein Sessel im selben Farbton. Man munkelte, dass der füllige Gennat gerne einen Teil seines Arbeitstages auf dem Sofa liegend verbrachte, doch niemand nahm ihm das übel. Seine Ermittlungsergebnisse sprachen für sich. Gennat war eine lebende Legende. Er hatte am Fall des Serienmörders Fritz Haarmann mitgewirkt und insgesamt eine sehr hohe Rate an aufgeklärten Mordfällen vorzuweisen. Hartnäckigkeit war eine seiner Tugenden, und so war es auch Gennats Bemühungen zu verdanken gewesen, dass die Zeit des ständig unterbesetzten Mordbereitschaftsdienstes, wie er bisher bestanden hatte, ihr Ende gefunden hatte. Seit dem 1. Januar 1926 gab es eine Zentrale Mordinspektion, deren Leitung Ernst Gennat übertragen worden war. Diesem unterstanden drei Mordkommissionen, die im Wechsel vierwöchigen Bereitschaftsdienst hatten, so dass jeweils eine aktive Mordkommission von zwei Reserve-Mordkommissionen unterstützt wurde. Gennat koordinierte die Kommissionen und hatte die Kontrolle über alle Morduntersuchungen inne. Außerdem suchte er selbst die fähigsten Kriminalisten aus, was Kappe mit einem gewissen Stolz erfüllte, da er schließlich selbst einer der Auserwählten war. Wenn er Gennat nur noch davon überzeugen könnte, dass auch die fähigen Kriminalbeamten für ihre Ermittlungsarbeit ein weiches Ruhekissen brauchten! Doch dazu müsste Kappe ihn überhaupt darauf ansprechen, und das kam ihm dann doch vermessen vor. Er würde lieber endlich Klara um ein Stuhlkissen bitten. Wenn er es nur nicht wieder vergaß! Denn seltsamerweise verschwendete er jeweils nach Verlassen des Dienstgebäudes keinen Gedanken mehr an den fehlenden Sitzkomfort.