Читать книгу Schatten über Adlig-Linkunen. Kriminalerzählung онлайн
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„Aber Maria, wir leben im 19. Jahrhundert, die Zeiten ändern sich. Was heute noch ungewöhnlich ist, wird morgen bereits normal sein. Außerdem ist man in Berlin erheblich toleranter als hier im verstaubten Ostpreußen!“
„Du meinst unmoralischer, nicht toleranter. Ich schlage dir vor, erst einmal mit deinen Eltern zu reden. Sag mal, wie bist du eigentlich auf all diese Ideen gekommen? Woher weißt du, dass man in Berlin als Frau studieren darf, wenn man eine Genehmigung erteilt bekommt? Hat Hannes für dich in Berlin nachgefragt? Du warst doch noch nie alleine dort!“
Anna wollte gerade antworten, als Maria ihr ins Wort fiel: „Ah! Sag nichts, ich glaube, ich kann es mir selbst zusammenreimen: Hat es etwas mit Otto Goldfeld zu tun und der Tatsache, dass unser Hausarzt, Dr. Markowski, in letzter Zeit öfter bei ihm ist?“
In der Tat ging es dem Gutsverwalter immer schlechter und der Arzt sah regelmäßig nach ihm. Goldfeld konnte seine zunehmende Atemnot nicht mehr verbergen, wie er es noch vor kurzer Zeit getan hatte. Maria war aufgefallen, dass Anna bei den Arztbesuchen immer zugegen war und sich auch sonst oft bei Goldfeld aufhielt; hatte dies aber ausschließlich auf das enge Verhältnis der beiden zueinander zurückgeführt. Aber jetzt erschien das Ganze in noch einem anderen Licht. Und in der Tat bestätigte Anna: „Ja, es hat auch sehr viel damit zu tun. Ich habe mich ausführlich mit Dr. Markowski unterhalten. Zunächst nur, um in Erfahrung zu bringen, wie ich Opa Goldfeld helfen kann. Dabei wurde aber auch generell mein Interesse für die Medizin geweckt. Ich merkte, wie wenig ich ohne medizinische Kenntnisse für ihn tun kann. Dr. Markowski ist eine Goldgrube und sehr, sehr erfreut, wenn man ihn ausfragt. Ich glaube, er denkt, dass er in mir eine gelehrige Schülerin gefunden hat, und ich hoffe, er hat Recht. Schon bald habe ich ihm anvertraut, wie sehr mich ein Studium interessieren würde. Er hat zunächst genauso reagiert wie du, und ich versuchte, alle seine Einwände zu entkräften. Auf der anderen Seite imponierten ihm wohl meine Hartnäckigkeit und meine Verärgerung darüber, dass Frauen nicht studieren dürfen. Eines Tages überraschte er mich mit der Nachricht, dass ich mit Sondergenehmigung die Universität besuchen kann. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte mir, dass er den Dekan der medizinischen Fakultät in Berlin recht gut kenne und sich für mich einsetzen könne. Er riet mir allerdings, ebenso wie du, zuerst mit meinen Eltern ausführlich zu sprechen.“