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Читать книгу Ich geh stiften. In 40 Tagen zu Fuß durch Deutschland – 1.150 Kilometer für mich und einen guten Zweck онлайн

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Mir begegnet tatsächlich über Stunden kein Mensch, Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Diese drehen sich hauptsächlich um meine Wanderung, aber auch um die beruflichen Belange, welche mich in den letzten Wochen und Monaten sehr eingebunden hatten. „Den Kopf frei bekommen“ ist ja eine so geflügelte Phrase, ich bin gespannt, ob es mir gelingen wird. Gegen Mittag, ich bin nun schon mehr als sechs Stunden unterwegs, bemerke ich eine aufkommende Müdigkeit nicht nur in den Beinen sondern auch in meinem Kopf. Also sollte ich eine etwas längere Pause einlegen, wobei sich die Frage stellt: Jetzt oder erst etwas später? Irgendwo hier auf den Wiesen, wenngleich kein halber Quadratmeter ohne Schafsmist zu erblicken ist oder weiterlaufen, bis mal eine schöne Stelle, eine Bank zum Verweilen einlädt? Ein Hotel mitten im Nirgendwo zwischen Deich und Feldern, aber abseits jedweder Zivilisation lasse ich links liegen (Wer verläuft sich als Gast hierher?). Es passt nicht ins Budget. Schließlich bietet sich eine Bank nebst Tisch perfekt an. Ich lasse mir meine Brote schmecken, nehme einen großen Schluck aus der Wasserflasche und versorge die ersten kleinen Blasen an den Außenseiten der rechten und linken Ferse. Dabei ist die rechte Blase schon ordentlich mit Wasser gefüllt, die linke drückt dagegen mehr. Also Rucksack auf, Medizintasche herausgenommen und das Nähzeug ausgepackt. Ich ziehe jeweils einen Faden durch die Blasen und klebe Pflaster drauf. Und dann niedergestreckt, die Füße hochgelegt und ich schlafe tatsächlich ein. Aber nur so lange oder kurz, bis ich vom eigenen Schnarchen wach werde. Inzwischen ist es 13:30 Uhr, seit acht Stunden bin ich unterwegs. Da noch gut zehn Kilometer vor mir liegen, raffe ich mich auf und laufe weiter meinen Stiefel. Die Wanderstöcke ticken rechts und links, geben Rhythmus und Tempo vor. Ich bin eine weitere Stunde auf einer asphaltierten Nebenstraße unterwegs, als mich plötzlich ein roter Golf überholt und immer langsamer wird. Noch vor wenigen Momenten habe ich darüber nachgedacht, welche Erlebnisse ich haben, welche Bekanntschaften ich schließen werde, wie gastfreundlich Deutschland 2016 ist und mir unaufgefordert Hilfe angeboten wird. Jetzt hält der Golf circa 30 Meter vor mir an. Die Fahrertür öffnet sich und ein rotblonder Wuschelkopf dreht sich heraus. Er fragt mich tatsächlich, ob ich mitgenommen werden möchte. Ich zögere kurz und überlege, ob das mit dem „Fahren“ auf meiner Wanderung okay ist. Das Nachdenken dauert aber auch wirklich nur ganz kurz, denn hier begegnet mir die gesuchte Freundlichkeit zum ersten Mal spontan auf der Straße. Und da ich auch ein freundlicher Mensch bin, nehme ich die Einladung gerne an, verstaue Rucksack und Stöcke auf den Rücksitzen und steige ein. Ich stelle mich mit meinem Vornamen vor und erfahre, dass meine Fahrerin, wir mögen im gleichen Alter sein, Jaqueline heißt und auch nach Husum will. Ich merke an, dass sie bei ihrem Vornamen wohl doch auch im Osten sozialisiert sein müsste, was sie mit einem herzhaften Lachen bejaht und mir erzählt, dass sie ursprünglich aus Magdeburg stammt. Ihren Freund lernte sie bei einem Tangofestival in Halle kennen und zog zu ihm nach Husum. Sie komme gerade von der Arbeit, just aus jenem Hotel, an welchem ich vorhin vorbeilief. Auf ihrem Weg in den Feierabend sah sie mich so dahinlaufen und dachte sich, sie nimmt mich halt mit. Ich berichte von meiner Herkunft, meinem Vorhaben und erfahre, dass hier immer mal wieder so verrückte Wandervögel unterwegs seien. Erst im letzten Herbst hätte sie eine junge Frau ein Stück mitgenommen, welche wohl aber auch im Freien übernachtete und Jaquelines Auto daher nach kurzer Zeit intensiv nach Schaf roch. Diese Gefahr bestünde bei mir nicht, erwidere ich, bestenfalls hätte um diese Zeit mein Deo versagt. Wir lachen und Jaqueline fährt mich schließlich bis zur Husumer Altstadt. Hier angekommen fragt sie mich, ob ich auch zur heutigen Jazznacht gehen würde, was ich mit Blick auf das anstehende EM-Viertelfinalspiel Deutschland-Italien und meinen Ermüdungszustand verneine. Wir verabschieden uns und ich bedanke mich herzlich für ihre Hilfe.

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