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Jonas Ullrich hörte ihre Stimme zum ersten Mal. Die Stimme seiner verstorbenen Johanna! Wie vom Donner gerührt, starrte er die Frau an. Sein Puls spielte verrückt. Schweißperlen traten auf die Stirn. Ein kalter Schauer jagte ihm über den Rücken. So etwas war unmöglich. Es musste Einbildung sein. Leonie begann zu spielen, aber er konnte nicht mehr ruhig sitzen bleiben. Die Frau mit Johannas Stimme zog ihn mit unwiderstehlicher Kraft an. Behutsam, sich stumm links und rechts entschuldigend, näherte er sich dem Flügel. Er setzte sich auf einen freien Stuhl in der vordersten Reihe. Leonies Gesicht blieb im Halbdunkel, während sie spielte. Sobald sie sich zum zweiten Mal erhob, um sich zu verbeugen, erkannte er die Gesichtszüge deutlich. Sein Atem stockte. Vor Schreck sprang er auf, denn vor ihm stand Johanna, genauso wie sie ihm seit dreißig Jahren jeden Abend vor dem Einschlafen auf dem Foto zulächelte.
Drehe ich durch?, war sein erster Gedanke, doch es gab keinen Zweifel: Leonie Volkmann glich seiner Frau Johanna aufs Haar. Auch um ihn herum erhoben sich die Zuhörer, um die Künstlerin mit stehender Ovation zu feiern. Er aber zog sich in sein Schneckenhaus zurück. Unberührt von der Begeisterung, blendete sein Geist die Umgebung aus und versuchte nur noch, das Wunder zu begreifen, das diese Frau für ihn darstellte.