Читать книгу Unentrinnbar онлайн
72 страница из 97
Er hätte ebenso gut Chinesisch reden können. Im ersten Moment verstand Jonas kein Wort. Gut trainiert, wie er war, antwortete er automatisch mit der passenden Floskel: »Ausgezeichnet. Das sind gute Nachrichten.«
Erst nachdem sie den Stall hinter sich hatten, sank die Neuigkeit in sein Bewusstsein. Lars Brüderle hatte soeben bestätigt, dass keine zusätzlichen, aufwendigen klinischen Tests für ihr gentechnisch hergestelltes Generikum ›XORACIN‹ nötig waren. Anders ausgedrückt: Sein Projekt war auf der Zielgeraden zum totalen Triumph. Freuen mochte er sich nicht darüber. Vielleicht später. An diesem Abend machte er sich zu große Sorgen um seine Tess.
Kapitel 3
Gestüt Walpurga, Badenweiler
Tess rieb sich verwundert die Augen. So früh am Morgen zu erwachen war ungewöhnlich genug, aber ohne Kater? Wie lange lag ihr Flachmann schon leer in der Nachttischschublade? Sie war im Begriff, sich zu verändern. Jetzt, da die Tage schnell kürzer wurden und die ersten Frostnächte vor der Tür standen, begann in ihrem Kopf der Frühling. Blumenwiesen verbreiteten ihren betörenden Duft und laue Lüftchen wehten den abgestandenen Alkoholdunst nach und nach aus ihren Poren. Nicht dass sie ganz aufs Trinken verzichtete, beileibe nicht. Aber die kostbaren, witzigen und romantisch verliebten Telefonate und Kurznachrichten ihres herzergreifend unverdorbenen Jonas am Abend im Bett wiegten sie so sanft in den Schlaf, dass sie den betäubenden Schlummertrunk regelmäßig vergaß. Der Frühling machte auch das Leben im goldenen Käfig des Familiensitzes überraschend erträglich. Selbst im Haus konnte sie vollkommen nüchtern sein und trotzdem frei atmen. In diesem schrecklichen Haus, wo die Perfektion des selbstgerechten Stiefvaters und seiner noch vollkommeneren Mutter Walpurga wie ein einziger giftiger Vorwurf aus jeder Mauerritze, den Tapeten, kostbaren Teppichen, antiken Möbeln, piekfein glänzenden Wasserhähnen, ja gar aus dem schweren Tafelsilber kroch.