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Es war elf Uhr, der Wind ums Haus heulte lauter als zuvor und schien nicht nachlassen zu wollen. Anja erinnerte sich nun, dass es eine Orkanwarnung für den heutigen Abend gegeben hatte. Der angekündigte Sturm schien in voller Stärke eingetroffen zu sein.
Anja war erschöpft. Sie nahm sich vor, bald zu einer Entscheidung zu kommen, wie es weitergehen sollte, wenn überhaupt. Aber nicht mehr heute Abend. Sie zwang sich, ihre Kleidung auszuziehen und ein Nachthemd überzustreifen. Burt hatte es ihr vor Jahren geschenkt, und sie fragte sich, warum sie es nicht längst in den Müll geworfen hatte. Sie legte sich ins Bett und versuchte gegen den Sturm anzuschlafen. Als der Wind gegen Morgen nachließ, träumte sie von einer langen Reise, an die sie sich nach dem Aufwachen nicht mehr erinnerte. Aber in der Nacht war ihr klar geworden, was sie als Nächstes zu tun hatte.
|10|2.
Meine Mutter saß im Straßengraben und weinte. Das ist der erste Moment meines Lebens, an den ich mich bewusst erinnern kann. Alles, was davor geschah, versteckt sich im Nebel der frühen Kindheit und ist nur schemenhaft in meiner Erinnerung vorhanden: Eine große Bauernstube, die ich nur für den Augenblick zurückrufen kann, als ich unter dem Tisch sitze und mich vor dem Nikolaus und seinem Knecht Ruprecht fürchte. Ich sehe mich undeutlich unter einem Baum in einem Innenhof, der von Gebäuden an drei Seiten umgeben ist und zur Dorfstraße hin von einer Steinmauer mit einem Eisengitter in der Toreinfahrt geschützt wird. In den äußersten Winkeln meiner Erinnerung nehme ich Leiterwagen wahr, die vollgepackt mit Menschen in den Hof ein- und ausfahren. Später erzählte man mir, dass es Flüchtlinge waren, die noch weiter im Osten gewohnt hatten, und sich vor der näherrückenden Front in Sicherheit brachten. Und da ist die Wiese neben dem Haus, die zum Bach hin abfällt. Hier war alles grün und friedlich, warm und barfuß. Hinter dem Haus lagen Obstwiesen und dahinter gab es einen großen Fluss.