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Tja, ein supererfolgreiches Familienleben hatte Steenbergen nicht gehabt, aber immerhin: ein Kind, eine Frau. Manche der Besten und Tapfersten erreichten nicht mal das. Schließlich waren selbst Kevin und seine Mama vielleicht Schicksal und Lebensinhalt für irgendwen. Richard stellte sich vor, mit dieser blondgefärbten, kräftig geschminkten jungen Frau liiert zu sein. Es fiel ihm nicht leicht. Dann versuchte er sich vorzustellen, eine knapp dreißigjährige Tochter zu haben, das kriegte er gar nicht hin. Steenbergens Tochter war fast dreißig, und Kevins Mama schien höchstens so alt. Was würde diese Frau tun, wenn ihr Vater starb? Ein Jahr in Schwarz gehen? Auf seinem Grab tanzen, weil er sich nie um sie gekümmert hatte? Sie würde erben, dachte Richard. Er hatte Steenbergens Kontoauszüge gesehen. Sie würde in das Haus ziehen und das Bankkonto plündern und sich einen neuen Kinderwagen kaufen. Einen knallroten mit hundertzehn PS.
Als er dann etwas später in der Bernhardis-Straße stand, einer angenehm ruhigen Gegend, wo die Kinder vermutlich Alexander und Julia und Benjamin hießen, da fragte er sich, wer Steenbergen eigentlich beerben würde. Vermutlich die Tochter. Natürlich, das stand hier im Dossier, Steenbergen hatte eine Art Konzept-Testament hinterlassen, einen kleinen Schrieb, in dem er alles der Tochter vermachte, Richard hatte das Dokument zuvor im Vladi übersehen, weil es so kurz war. Nun hantierte er mit einem Stapel rutschender Papiere in Steenbergens Straße und stützte sein Fahrrad mit der Hüfte und war wieder einmal das Chaos in Person, die wandelnde Slapsticknummer: Niemandem außer ihm würde es einfallen, vor einem fremden Garten neben einem ständig wegrollenden Fahrrad im Nieselregen eine Mappe mit wichtigen losen Blättern auszupacken und durchzusehen. Schließlich schaffte er es aber, alles sorgfältig zu parken, das Fahrrad am nächsten Laternenpfahl, die Papiere in seiner Tasche. Dann versuchte er, Steenbergens Haus auszumachen. Doch hier stand weit und breit nichts Großes und Protziges. Schließlich merkte Richard, dass er an der Hausnummer siebzehn, die er suchte, glatt vorbeigegangen war. Beschämt kehrte er um und stoppte vor einer kleinen weißen Häusergruppe mit langen Fensterbändern und einer mächtigen alten Schlingpflanze, die sich über alle Eingänge zog. 17c suchte er, das war das dritte in der Reihe. Es war auch das einzige Haus der Gruppe ohne Kranz an der Tür, und aus irgendeinem Grund stimmte Richard das froh. Der gute alte Steenbergen. In seinem Vorgarten duftete, blühte, summte und zierte sich nichts, da stand nur alter Buchs, streng und knorrig, und eine Holzbank auf hellen Travertin-Platten. Am liebsten hätte Richard sich erst mal hingesetzt und die Gegend betrachtet, doch diese Gegend hatte viele Fenster und wirkte etwas lauernd im regenfeuchten Sommernachmittag. Herumtrödeln sollte er auch nicht. Also kramte er den Schlüssel aus dem Dossier hervor und steckte ihn ins Schloss. Und dann sah er sich plötzlich unwillkürlich um. Ein Auto fuhr hinter ihm vorbei, es nieselte wieder, Passanten waren nicht unterwegs. So etwas hatte er noch nie gemacht. Mit einem sehr unguten Gefühl öffnete Richard die Tür zum Privatleben des Verstorbenen, spähte ins dumpfe Zwielicht des Vorraums und trat ein.